6. Brauchtum und Sitten unserer Heimat

Von den alten Sitten und Bräuchen unserer Vorfahren ist leider sehr vieles unserer technischen Zeit zum Opfer gefallen, doch begegnet uns immerhin noch ein beträchtlicher Teil im Kreislauf des Jahres. Im Nachstehenden soll versucht werden, sowohl das heute noch geübte Brauchtum als auch das der älteren Generation aus ihren Kindertagen noch bekannte Volksgut zu beschreiben. Dabei wird es wohl unvermeidlich sein, dass manche hier geschilderten Sitten und Bräuche nicht nur in unserer engeren Heimat geübt werden, sondern auch in entfernten deutschen Landen anzutreffen sind.

Das neue Jahr wurde stets mit viel Lärm empfangen: Böllerschüsse, Knallkörper, dazu Glockengeläut sollte alles Unglück vom kommenden Jahr verscheuchen. – Früher gab es in den Hovestädter Gaststätten für die Stammgäste ein Gratis-Festessen am Silvesterabend. Am Dreikönigstag sind die Sternsinger unterwegs: die 3 Könige (einer als Mohr) mit dem Sternträger. Sie singen in den Familien ihr Lied, sammeln Geld für gute Zwecke und erhalten selber Lohn in Gestalt von Apfelsinen, Nüssen, Gebäck und Süßigkeiten.

Am St. Peterstag (Sünte Peiter) 22. Februar konnte man vor ca. 60 Jahren vom Schoneberger Krimpenland noch das Sunnenvogel-Kloppen hören. Kinder und Jugendliche schlugen mit Stöcken und Knüppeln an Ständer und Pfosten und sangen dabei das Lied:
 

Biuter Biuter Sunnenvugel,

Sünte Peiter iss kummen,

kleine Mius, Heriut Heriut,

graute Mius, alles Unglück iut dem Hius.
 

Aus Fastnacht haben sich unsere Altvordern scheinbar mehr gemacht als wie wir es heute tun. Die verschiedenen Vereine veranstalteten jetzt im großen Saal bei Biele ihre Fastnachtabende, wobei auch das Dorfgeschehen entsprechend glossiert wird. Die Kinder kommen als Fastnachtsjeck verkleidet in die Häuser und singen (soweit sie es noch können) das alte Fastnachtslied:
 

Lüttke, Lüttke Fastenacht,

ick hevve hoart jiu het geschlacht,

het sau schöine Wuöste makt,

gift mui eene, gift mui eene,

oaver nich sone ganze kleene,

loat dot Messken sinken,

bihs midden in nen Schinken,

laot dat Messken gluien,

bis deipe in de Suien,

laot mui nich seo lange stoahn.

lck mot no‘n Huisken födder goahn.

Eins, zwei, drei, Ne Mettwarst oder en Ei.
 

Als eine eigenartige frühere Sitte oder Unsitte an den Fastnachtstagen sei noch das »Teibenbuiten« erwähnt, wobei jungen Frauen oder Mädchen in den großen Zehen gebissen wurde. – Bis in unsere Tage erhalten hat sich ein spezielles Fastnachtsgebäck die »Heitewegge« (Heiße Wecken) ein Leckerbissen für die jungen und Alten.

Allmählich geht es auf Ostern zu! Der Auferstehung unsers Herrn entspricht das wiedererweckte Leben in der Natur. – Eine große Freude für die Kinder bedeutet stets das Suchen der Ostereier, die der Osterhase im Garten versteckt, oder in die vorbereiteten Nester legt. Am Nachmittag des ersten Ostertages machte die ganze Familie einen Spaziergang ins Feld, um den »Roggen zu krönen« im Sauerland »pälmen«. Hierbei wurden die am Palmsonntag geweihten Palmzweige, erinnernd an Jesu Einzug in Jerusalem, Weidenkätzchen und Buchsbaum in Kreuzesform oder an allen 4 Ecken des Kornfeldes gesteckt, um Gottes Segen auf unsere Feldfrüchte herabzuflehen.

Gegen Abend, bei Eintritt der Dunkelheit, flammen überall die Osterfeuer auf, von Alt und Jung besucht, wobei die alten Osterlieder erklingen...

Inzwischen ist der Frühling vollends eingekehrt mit Sonnenschein, Blütenpracht und Vogelsang. Bereits am Gertrudentag, 17. März, beginnt die Arbeit im Garten sagt doch der Volksmund: »Op Sünte Gertrud geiht de eiste Gäönerske innen Gaohen« (wenn es natürlich die Witterung erlaubte). Die junge Frau oder das Mädchen, welche zum 1 Mai ihren Garten nicht umgegraben hatte, musste evtl. damit rechnen, dass sie einen »Fiulen« einen Strohkerl in den Garten gesetzt bekam.

Der Jugend brachte der Frühling auch allerhand. Wenn der Saft in die Bäume stieg, wurden aus Weiden- und Kastanienholz die Flötenpfeifen angefertigt, besonders geschickte Jungen stellten auch »Schalmeien« her. Beim Beschlagen des Bastes wurde das Lied gesungen:
 

Kättken leip den Beärg herop,

woll sick Sappet halen,

dao kam de lange Hesse,

mit dem langen Messe,

woll dat Kättken Stät abschnuin,

stump vaör de Mäse aff.

Dao sprang dat Kättken in den Pütt,

dao gaff et Glück.
 

Viel Vergnügen bereitete auch das Maikäferfangen. Wenn dieselben an schönen Maiabenden schwärmten, suchte man dieselben mit Reiserbesen oder »Bästern« zu erwischen. Dabei wurde nachstehendes Lied gesungen:
 

Maikäfer flieg,

der Vater ist im Krieg,

die Mutter ist im Pommerland,

Pommesland ist abgebrannt,.

Maikäfer flieg.
 

Etwas später, wenn die überzähligen kleinen Früchte: Kastanien, Apfel, Birnen massenweise von den Bäumen fielen, war die Zeit der Knallbüchsen. Dieselben wurden aus »Büssenholt« (Holunder) angefertigt, welches sich hierfür besonders eignete. An Munition fehlte es ja nicht. Geld, um teures Spielzeug zu kaufen, war nicht vorhanden, so half man sich selbst und erweiterte hierbei die ersten handwerklichen Fertigkeiten. Wenn die Natur ihren Höhepunkt zustrebt, (Ende Mai oder im Monat Juni) auf Fronleichnam zieht nach alter Weise die Prozession mit unserm lieben Herrn durch die reich geschmückten Straßen unseres Dörfchens durch Felder und Fluren, um Gott zu ehren und zu danken und seinen Segen für Volk und Land zu erbitten. An der stimmungsvollen St.-Anna-Kapelle wird eine kurze Festpredigt eingelegt. In dieser Crehen- oder Anna-Kapelle wird auch der Namenstag der Heiligen immer mit einem Festamt begangen, (26. Juli).

Auf St. lda oder am folgenden Sonntag wallfahren noch immer die Ostinghauser, denen sich Schoneberger und Hovestädter Bewohner anschließen, zum Herzfelder St. Idadom, um unsere große Landesheilige zu preisen und dieselbe um ihre Fürbitte anzurufen.

Ein sinnvoller schöner Brauch war auch die kirchliche Weihe des »Krautbundes« am Feste Maria Himmelfahrt, dem Sonntag nach dem 15. August. In Garten und Feld gesammelte Heilkräuter und Blumen wurden zum Strauß gebunden, von den Kindern mit zum Gottesdienst gebracht und hier gesegnet.

Um Johanni-Mittsommer, 21. Juni wird in Hovestadt seit altersher auch das Schützenfest in echter, alter Tradition begangen. Es ist auch heute noch das eigentliche Fest des Jahres. Der Schützenverein Hovestadt-Nordwald, der sich seit 1961 als Schützenbruderschaft St. Albertus Magnus Hovestadt-Nordwald bezeichnet, konnte bereits im Jahre 1960 sein 100-jähriges Bestehen feierlich begehen. Die Feier des Schützenfestes wird jedoch schon wesentlich älter sein.

»Tüsken Säggen un Mäggen« wurden früher auch vielfach die Hochzeiten gefeiert, als Festraum diente meist die Bauern-Deele, welche reich mit Grün geschmückt war. Der Auftakt des Festes bildet der Polterabend, wo unter viel Lärm altes Geschirr, Glas und defekte Pötte vor dem Eingang des Hochzeitshauses abgeladen werden. Zum Dank wird von den Hochzeitern Branntwein und Butterkuchen spendiert. In der Nacht vor der Hochzeit wurde ein Häckselpatt gestreut, den der Bräutigam zu einem früheren Liebchen gegangen war. – Das sitzengebliebene Mädchen erhielt vielfach zum »Trost« einen Strohkerl vors Haus gesetzt.

Nach dem Brautamt wird der geschmückte Brautwagen, früher eine prächtige Pferdekutsche, (heute ein bekränztes Auto) durch Sperrseile der Kinder und Jugend aufgehalten, der Bräutigam muss sich durch unter die Menge geworfene Geldspenden und Süßigkeiten loskaufen. Eine drastische Sitte wurde mir noch von der benachbarten Haar berichtet. Wenn früher ein unerwünschter Freier den Hof betrat, und meist durch die Nuindür ins Haus kam, wurde er auf der großen Deele mit einer Ladung Kaff aus der Bodenluke empfangen. Obwohl der betreffende, meist jugendliche Attentäter, eine heftige Rüge vom Hofherrn bekam, galt diese Aktion doch als klare Absage für den betroffenen Freiersmann.

Unsere immer noch landwirtschaftlich geprägte engere Heimat hat in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen technischen Wandel durchgemacht, welcher besonders bei den Erntearbeiten in Erscheinung tritt, wobei leider auch die alten Gewohnheiten fast grundlegend abgelöst wurden.

Hovestadt selbst war nie ein Bauerndorf. Außer dem gräflichen Gut existierten hier noch 5 bis 6 mittel- und kleinbäuerliche Betriebe. Der größte Teil der Bevölkerung fristete durch Handel (früher Juden) als Handwerker und Arbeiter (früher gräfliche Tagelöhner) jetzt vielfach auswärts arbeitend, seinen Lebensunterhalt. Doch fast sämtliche hiesige Hausbesitzer bewirtschafteten nebenbei eine kleine Landwirtschaft (meist gräfliches Pachtland) und hielten auch etwas Vieh: eine Kuh oder 1 bis 2 Ziegen, ein oder zwei Schweine und einige Hühner. Vom 1. Mai bis Allerheiligen gingen die Kühe auf die Gemeindeweide, den Bruch. Morgens in der Frühe ließ die langjährige Kuhhirtin, Lütkenhofs Therese, ihr Horn ertönen. Die Tiere traten aus den Ställen, trafen sich an Straßenkreuzungen und zogen mit ihrer Hirtin zur Weide. Gegen Mittag kehrte die Herde, wohl 50 bis 60 Kopf, in die Ställe zurück, um gemolken zu werden. Am frühen Nachmittag war dann wieder Austrieb und am Abend Heimtrieb. Die Straßen zeigten allerdings oft mehr der ländlichen ldylle wie erwünscht. Das nötige Heu wurde an der Lippe am Krähenbrink oder im Borgmersch gewonnen. Der erste Schnitt Ende Juni und im September das Uidgras. Das Futter für die Ziegen, Gras und Heu wurde meist an Feldwegen, Rainen und Gräben gewonnen. – Um Allerheiligen ward meist erstmalig geschlachtet und damit waren die »Allerheiligen-Fasten« zu Ende, denn Fleisch wurde nur wenig gekauft. Die nichtbäuerliche Bevölkerung hat fast ausnahmslos in den letzten Jahrzehnten Landwirtschaft und Viehhaltung als nicht mehr rentabel aufgegeben. Die Landwirtschaft (ist nach dem 2ten Weltkrieg) weitgehend mechanisiert und mit modernsten landwirtschaftlichen Maschinen ausgestattet worden. Das Arbeitspferd ist von dem Motor vollständig verdrängt, vom Säen bis zum Ernten werden alle landwirtschaftlichen Arbeiten von den Maschinen getätigt. (Jakobi 25. Juli is de Roggen ruip, sagte der Volksmund). Noch um die Jahrhundertwende wurden auch die großen Getreideflächen von den Schnittern in harter Arbeit mit der Sense gemäht und die mit der Wellerharke ausgenommenen Garben handgebunden.

Es folgte die von Pferden gezogene Mähmaschine, jedoch wurde diese vom Strohbinder abgelöst, der zunächst von Tieren, dann vom Motor angetrieben wurde. Die Garben wurden in Richten zum Trocknen aufgestellt und dann mit dem Leiterwagen zur Scheune (oder dem Hausboden) von Hand zu den Kornhaufen oder gleich zur Dreschmaschine gefahren. (Das früher übliche Korndreschen mit dem Dreschflegel frühmorgens im Winter gehört ja schon längst der Vergangenheit an.) Das letzte Fuder Getreide »der Harkemai« wurde mit lautem Hallo und Juchhu in die Scheune gebracht, der Erntekranz überm Hoftor aufgehängt und anschließend das Erntefest gefeiert, wo die Erntearbeiter mit gutem Essen und Getränken bei Tanz und Fröhlichkeit für ihre Mühen belohnt wurden.

Das alles ist jetzt verschwunden, seit der Mähdrescher sich in den letzten Jahrzehnten vollständig durchgesetzt hat. Die harte bäuerliche Erntearbeit wird dadurch wesentlich erleichtert und vereinfacht. Die Poesie der Erntezeit ist aber auch dahin, keine Richte und kein Kornhaufen beleben noch die gemähten Felder. – Aus den prachtvollen, üppigen Getreideschlägen sind durch Saatauslese und modernster Unkrautvernichtung leider auch alle Kornblumen verschwunden, die sonst den Naturfreund erfreuten.

Die Jugend hat jetzt wieder hohe Zeit. Sie lässt auf den abgeernteten Feldern ihre selbstangefertigten Windvögel steigen, ein auch heute noch gern geübter schöner Sport.

Inzwischen ist der Herbst ins Land gezogen. Die Esskartoffeln wurden ausgepflügt oder mit dem Spaten ausgemacht. Anschließend wurden die Kartoffelstrünke zu Haufen geschichtet, angezündet und darin die leckeren Bratkartoffeln geröstet. – Nüsse und Beeren suchen machte auch viel Vergnügen.

Mit Kriegsende hat sich bei uns die schöne Sitte des Martinszuges eingebürgert. Bei beginnender Dunkelheit setzt sich der Zug, an dem stets zahlreiche Kinder, die Kleinen in Begleitung der Mütter mit brennenden Fackeln teilnehmen, an der Schule in Bewegung und zieht durch die Dorfstraßen. Voran reitet auf hohem Ross St. Martin, gefolgt vom Spielmannszug. Der Höhepunkt des Abends spielt sich vor der Kirche ab, wenn St. Martin mit dem Bettler seinen Mantel teilt. Mit einem Brezel beschenkt ziehen die Kinder anschließend nach Hause.

Wenige Wochen später ist der St. Nikolaustag. Der heilige Mann kommt mit seinem Knecht Ruprecht in die Familien und Vereine und beschenkt die braven Kinder mit Süßigkeiten, Nüssen, Apfelsinen und Äpfeln, den unartigen gibt er Ermahnungen und eine Rute.

Jetzt ist es nur noch kurze Zeit bis zum hochheiligen Weihnachtsfest, wo das göttliche Kind sich uns selbst schenkt mit seiner Liebe und seiner Gnade. Nach der feierlichen Christmette oder Uchte, früher meist nächtlicherweise gefeiert, erfolgt die Bescherung in der Familie. Unter dem lichterstrahlenden Weihnachtsbaum liegen die Geschenke für die Älteren und besonders für die Kinder, die mit leuchtenden Augen all die Herrlichkeiten empfangen.

Wenn die Natur, zum schönsten aller Feste, auch noch über Stadt und Land einen weißen Zaubermantel breitet, kann nichts mehr an der rechten Weihnachtsstimmung fehlen.

Bei anhaltendem winterlichen Frost kann die Jugend auf den weiten vereisten Wasserflächen rund ums Schloss dem Wintersport frönen, vor allem am Eislauf sich ergötzen. – Seltener noch, (zuletzt im Jahre...) wurde das ganze »engere« Lippetal in ein riesiges Eisstadion verwandelt nach vorheriger Überschwemmung zur Freude aller Wintersportler.

Nachstehend seien noch einige Auszählverse zu den beliebten Kinderspielen (Fangen und Verstecken u. a.) mitgeteilt, welche zu meiner Kinderzeit noch in Schwung waren.
 

Eins, zwei drei, vier, fünf, sechs, sieben,

auf der Straße Numro sieben,

wackelt das Haus,

piept die Maus,

hopp Carlinchen,

du bist aus!
 

Waren die Kinder besonders eilig, so wurde gern der nachstehende plattdeutsche Vers benutzt:
 

Wui wärd keine lange Hauker-Spaukerigge maken,

diu sohs et einfach (aohne Knurren un aohne Murren) suin!


ENDE