3. Vom Übergang Hovestadts an Freiherrn von Plettenberg bis zum Jahre 1914
Im Jahre 1710 trat dann wieder eine Wende auf Schloss Hovestadt ein. Die damalige Eigentümerin, Louise von Heiden, Witwe des verstorbenen Freiherrn Dietrich von Heiden, verkaufte 1710 das Gut für 180.000 Reichstaler an den Freiherrn Friedrich Bernhard von Plettenberg-Lenhausen. Nachdem die Plettenbergs 1724 in den Grafenstand erhoben sind, wurde der Besitz im Jahre 1733 durch die verwitwete Gräfin Agnes Sophia geb. Westerholt zu Leibeck, der Gemahlin des inzwischen verstorbenen Grafen Friedrich Bernhard von Plettenberg angeboten. (Die vorherige Eigentümerin Louise von Heiden hatte bis zu ihrem Tode im Jahre 1733 das Nutzungsrecht).
Auf Gräfin Agnes Sophia von Plettenberg folgte ihr Sohn Josef Clemens von Plettenberg, der für Hovestadt von einiger Bedeutung ist.
Das Schlossinnere wurde im Stile Ludwigs (Louis) XIV. umgestaltet und erhielt den Vorbau mit den Freitreppen, die sogenannte Galerie (um 1740), die Vorgebäude auf dem großen Schlosshof (Rentei, Kapelle, Wirtschaftsgebäude u.a.) und die beiden Pavillons am Eingang wurden neu errichtet. Diese Bauten sind einheitlich in gelbem Putz mit Mansardendächern erstellt. Als Baumeister wird kein Geringerer als der seinerzeit recht berühmte westfälische Barock-Baumeister Johann Conrad Schlaun genannt. Ferner wurde der Park geschaffen nach französischem Vorbild mit den noch heute bestehenden hohen Buchenhecken. Die Parkanlage war noch viel großzügiger gedacht; nach den Plänen sollte der ganze heutige Althof in das Projekt einbezogen werden, kam dann aber wohl aus Geldmangel nicht zur Ausführung.
Die Geldgeber des Grafen Josef Clemens von Plettenberg waren die von ihm in Hovestadt angesiedelten Juden, welche seine Unternehmen finanzierten. Es sollte durch deren Ansiedlung aber auch der Handel in der Neustadt gefördert werden. Hundert Jahre später, 1855, zählte die jüdische Gemeinde Hovestadt 95 Seelen und besaß eigene Synagoge und Schule. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen die meisten jüdischen Familien jedoch wieder ab, meist in die Großstädte, wo bessere Aufstiegsmöglichkeiten bei Banken und großen Handelsunternehmen winkten. Um 1900 waren in Hovestadt noch 3 Judenfamilien, 1938 noch eine Familie, (Sommer-Cohn), welche dem nationalsozialistischen Terror in diesem Jahr zum Opfer fielen. Die Synagoge war bereits 1931 abgebrochen.
Auch unser Dorf wuchs allmählich heran. 1757 zählte es an die 60 Häuser. Zugleich mit der Zahl der Bevölkerung wuchs auch das Bedürfnis nach eigenem Gottesdienst und Schulunterricht im Ort. 1767 kamen, wohl nach Fertigstellung der gräflichen Kapelle auf dem Schlosshof 2 Franziskanerpatres zur Übernahme der Seelsorge und Schule nach Hovestadt. Sie wohnten in der späteren Vikarie. Später wurde ihre Zahl auf einen Pater herabgesetzt. Im Jahre 1838 trat an die Stelle des Paters der erste Vikar Bolzau.
Auf die Periode ruhiger Entwicklung folgten wieder bewegte unruhige Jahre, nämlich die Zeit des 7jährigen Krieges, die auch unser Gebiet nicht verschonte (1756-1763). Kurköln, und damit unsere engere Heimat war in diesem Kampfe neutral, stand aber den Feinden, Friedrichs II. aus verständlichen Gründen wohlwollend gegenüber. Wenn auch nicht direkt am Kriege beteiligt, so hat doch unsere Gegend zum Teil durch seine Lage sehr viel zu leiden gehabt unter den ständigen Truppendurchzügen hauptsächlich auf dem Postweg, den Einquartierungen, Fouragelieferungen und -fahrten u. ä. mehr. Anfang Mai 1757 erscheinen die ersten Franzosen in Hovestadt. Da im Amte nicht genug Verpflegung zur Unterhaltung der Truppen vorhanden ist, müssen die Bewohner solche lt. Edikt der Arnsberger Regierung von Werl herbeischaffen. Von nun kommen Tag für Tag neue französische Verbände die Lippe herauf. Neben den schon erwähnten ständigen Fouragelieferungen und -fahrten, der Stellung von Reitpferden für die Kuriere, der rücksichtslosen Beschlagnahme von bebautem Feld und Wiesen für Lagerplätze, sind es hauptsächlich die vielen Einquartierungen, unter denen die Bewohner zu leiden haben. Alle Beschwerden und Berufungen von gräflicher Seite nutzen nicht viel, trotz des im allgemeinen ziemlich guten Verhältnisses zwischen den französischen Offizieren und der gräflichen Familie. Das ganze Jahr hielten die Franzosen Westfalen besetzt bis zum Frühjahr 1758. Von März bis Mai dieses Jahres gelang es dem neuen alliierten Oberbefehlshaber, Ferdinand von Braunschweig, die französischen Truppen aus ihren westfälischen Winterquartieren zu vertreiben. Am 3. und 4. Mai sah Hovestadt und der Postweg daher wieder zahlreiche französische Einheiten, diesmal in rückwärtiger Bewegung dem Rheine zu. Die Akten berichten jetzt von schweren Kontributionen in Geld und Naturalien, die der Herzog Ferdinand von Braunschweig zum Teil als Strafe für die Franzosenfreundlichkeit der Untertanen Cl. Augusts diesen auferlegte. Anfang 1759 sind die Forderungen so drückend geworden, dass sich Plettenberg, allerdings vergeblich, um Abhilfe nach Arnsberg wendet. Mitte April dieses Jahres sind die Franzosen im Begriff, von neuem Westfalen zu besetzen und auch in unsere Heimat vorzudringen. Lippstadt ist noch in alliierter Hand und wird in den Verteidigungszustand gesetzt. Für die Schanzarbeiten muss Plettenberg Eichenstämme liefern, und zwar sind am 21. Juni geliefert und taxiert 72 Stck. zu 568 Reichstaler, am 29. Juli 75 Stck. zu 675 Reichstaler und kurz darauf 155 Stck. zu 1240 Reichstaler. Doch dann sind die Franzosen wieder die Herren und ihnen ist wieder Heu und Stroh zu liefern. Ganz Westfalen kommt wieder in französische Hand, bis sich ihr Marschall Contades bei Minden eine schwere Niederlage holt und Westfalen wieder räumen muss. Auch die Hovestädter Gegend fällt zum 2ten Mal in die Hände der Alliierten, welche derselben wieder schwere Leistungen auferlegen. So blieb es bis zum nächsten Winter. Auch der Sommer 1760 brachte keine wesentliche Änderung der Lage. Die Alliierten versuchten Wesel zu belagern, doch ohne Erfolg. Endlose Truppen- und Transportzüge der Alliierten, darunter auch englische Corps, passierten jetzt wieder auf der Lippstadt-Hammer-Straße unsern Ort. Als Zwischenfall wird berichtet, dass englische Abteilungen am 6. Oktober d. J. das hiesige Schloss überfielen und dort raubten und plünderten. Das einzige größere Gefecht hier in der Nähe fand am 15. und 16. Juli des folgenden Jahres (1761) bei Vellinghausen statt, wo die Franzosen eine völlige Niederlage erlitten durch den Herzog Ferdinand von Braunschweig. Die geschlagenen Scharen wälzten sich zunächst lippeaufwärts und setzten dann in südlicher Richtung ihren Rückzug fort.
Der geschlagene Marschall Broglie selbst eilte durch Hovestadt, wo er noch einige Tage vorher glänzend Quartier gehalten hatte, und übernachtete in der St.-Anna-Kapelle zu Nordwald, von wo er weiter nach Katrop eilte. Unsere engere Heimat bekam dann wieder alliierte Besatzung, welche das Amt noch schärfer als vorher zu Lieferungen heranzogen. Im August des nächsten Jahres (1762) waren nochmals die Franzosen hier, um dann bis zum Kriegsende unsere Gegend den Alliierten zu überlassen. Es folgten einige ruhige Jahrzehnte, welche allmählich die Wunden des Krieges heilten.
Im Jahre 1793 lässt der Graf von Plettenberg in Hovestadt eine neue Lippebrücke erbauen, aus starkem Eichenholz, wie der Bericht sagt, nach- dem lange Zeit der Verkehr nach Herzfeld mit Kähnen vermittelt war. Für die Benutzung der Brücke wurde ein Brückengeld erhoben, das an den im eigens hierfür errichteten Brückenhause amtierenden Zöllner entrichtet werden musste.
Die Französische Revolution 1789 mit all ihren Auswirkungen und besonders die anschließende Zeit Napoleons brachten wieder einschneidende Veränderungen und viel Drangsale und Unruhe über unser Gebiet, über das deutsche Vaterland, ja über fast ganz Europa. Spanien, Italien, Belgien, Holland kamen unter die Herrschaft Napoleons, der sich zum französischen Kaiser aufgeschwungen hatte (1804). In mehreren Schlachten war auch Österreichs Macht gebrochen, das sich im Frieden von Luneville (1800) gezwungen sah, den Rhein als französische Ostgrenze anzuerkennen.
Durch den Reichsdeputationshauptschluss d. J. 1803 wurden die geistlichen Fürstentümer und Stifte in Deutschland aufgehoben, säkularisiert und mit diesem Besitz die deutschen (weltlichen) Staaten für den Verlust ihrer linksrheinischen Gebiete entschädigt.
Unsere engere Heimat, welche über 600 Jahre zu Köln gehört hatte, weltlich und kirchlich, wurde 1803 dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt unterstellt. Westfalen bildete hier eine eigene Provinz.
Als Napoleon 1806 mit 16 deutschen Fürsten den Rheinbund schloss, war darunter auch unser neuer Landesherr, Landgraf Ludwig v. H.-D. Der Preis für die Anerkennung als souveräner Staat seitens Napoleons auf Kosten des Reichs, kann nur als Verrat an der deutschen Sache bezeichnet werden.
Der rechtmäßige deutsche Kaiser in Wien, Franz II., legte im Jahre 1806 die deutsche Kaiserkrone nieder und nannte sich fürderhin nur noch Kaiser von Österreich.
Napoleons Macht wuchs indessen immer mehr. In der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt hatte er 1806 auch Preußen zu Boden geworfen. Ein Jahr zuvor hatte er bereits die Österreichische Armee geschlagen und Wien besetzt. Fast ganz Italien, Belgien und Holland waren in seiner Hand. Schon am 29. Oktober 1806, 14 Tage nach der Schlacht von Jena und Auerstädt, passierte die siegreiche französische Nordarmee unseren Ort, um aus dem Münsterland kommend, über Lippstadt nach Paderborn weiter zu ziehen. Als hessische Untertanen musste die hiesige Bevölkerung wohl oder übel die Franzosen als ihre Freunde betrachten.
1812 führte der Korse den großen Feldzug gegen Russland, doch die unendlichen Weiten und das Klima des Riesenreiches wurden dem stolzen Welteroberer zum Verhängnis. Die deutschen, mit Napoleon verbündeten Länder, hatten zu diesem Unternehmen Truppenkontingente zu stellen und finanzielle Unterstützung zu leisten. – Von der 700.000 Mann starken französischen Armee kam die Mehrheit in Russland um, darunter auch eine große Zahl westfälischer Landeskinder und nur ein kleiner Teil sah die Heimat wieder.
Frühjahr 1813 begannen im schlesisch-sächsischen Raum von neuem die Kämpfe zwischen den verbündeten Preußen und Russen und den französischen Unterdrückern. Trotz einiger französischer Erfolge, die auch in unserer Heimat lt. Anordnung der hessischen Landesregierung mit Tedeum und sonstigen Feierlichkeiten begangen werden musste, brachte dieser erste Teil der Befreiungskriege keine Entscheidung und endete mit einem Waffenstillstand. Neue Steuern werden auch Westfalen auferlegt, die den Verbündeten Napoleons durch die Teilnahme am Kriege erwachsen. Doch dann wendet sich das Blatt endgültig. Als Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig am 16.-19. Oktober 1813 von den vereinigten Preußen, Russen und Österreichern vernichtend geschlagen wird, schließen sich auch die mit Napoleon verbündeten deutschen Fürsten der großen Koalition gegen Bonaparte an. Auch unser Landesvater, der Großherzog von Hessen, hält es nunmehr für geraten, sich von Frankreich loszusagen und sich den Verbündeten anzuschließen.
Die ersten Vorläufer der verbündeten Truppen erschienen in Hovestadt schon Ende Oktober, während immer noch einzelne versprengte französische Abteilungen in größter Verwirrung durch unser Dorf eilten. Am 3. Oktober erschienen die ersten Kosaken, denen ununterbrochen neue Truppen, hauptsächlich Preußen und Russen, folgten. Im Schloss waren in diesen Tagen die Tische ständig gedeckt für die durchkommenden Offiziere, während auf dem Hofe für die Mannschaften Essvorräte bereit standen. Alle verbündeten Truppen wurden mit Jubel begrüßt, nur die Kosaken hatte man weniger gern im Quartier wegen ihres zügellosen Benehmens und der derben Ungeschliffenheit.
Nach dem endgültigen Sturz Napoleons wurde auf dem Wiener Kongress das Kartenbild Europas wieder einschneidend verändert. Auch Hovestadt bekam einen neuen Herrn, den König von Preußen, dem es durch ein Patent des Großherzogs vom 8. Juli 1816 übergeben wurde. Oberpräsident von Vinke nahm es am 15. d. Monats für seinen König in Besitz.
Im Jahre 1821 wurden auch die deutschen (kath.) Bistümer neu geordnet. Unser Gebiet, welches jahrhundertelang auch kirchlich zu Köln gehört hätte, kam zur Diözese Paderborn.
Als ein hoffnungsvolles Zeichen zur Wiedererlangung der deutschen Einheit muss die Gründung des Deutschen Bundes im Jahre 1815 bezeichnet werden, der fast alle deutschen Länder einschließlich Österreich umfasste.
1828-1834 wird der deutsche Zollverein gegründet, der wesentlich zur Hebung der Handelsbeziehungen und des Gemeinschaftsgefühls in den unterschiedlichen deutschen Landen beigetragen hat.
Im sturmbewegten Jahre 1848 wird noch mal die Einheit des Reiches beschworen, Beschneidung der Machtbefugnisse der absoluten Fürsten zugunsten des Reiches und Mitbestimmung und Verantwortung der deutschen Bürger gefordert.
In Hovestadt kam die Revolution 1848 auch zum Durchbruch, doch verlief alles recht unblutig. Hauptsächlich Herzfelder Kirchspielleute, die dem Grafen abgabepflichtig waren, wollten mit Stöcken und Knüppeln bewaffnet aufs Schloss ziehen. Sie fanden jedoch die Zugbrücke hochgezogen, die beiden, aus dem 18. Jahrhundert stammenden Kanonen aufgefahren und daneben die Dienerschaft Wache haltend. So blieb den Angreifern nichts anderes übrig, als die an der Herzfelder Straße stehenden, dem Grafen gehörigen Öllaternen zu zerschlagen und dann ihren Mut in der Wirtschaft zu kühlen. Doch auch unter den kleinen Hovestädter Landwirten, welche durchweg gräfliches Pachtland bewirtschafteten, gärte es bedenklich. Unter Führung des Landwirts August Bierhaus genannt Eickmann, der Eigentümer von gut 50 Morgen war, hofften dieselben, vom Pächter zum Besitzer der bewirtschafteten Ländereien aufzusteigen. Der damalige Rentmeister lud die Rebellen auf die Rentei und heuchelte, für ihre Bestrebungen Verständnis zu haben. Als er ihnen dann eine aufgestellte Liste vorlegte, wonach jeder Beteiligte etwa 50 Morgen Eigentum bekäme und gerechterweise dann auch ihr Wortführer A. Bierhaus noch einige Morgen abzugeben habe, erklärte der Letztgenannte »Dann dau ick nich mär mit« und damit war die Sache erledigt.
Da die Räume in der bisherigen Schule, des jetzigen Hauses Lammert in der Bahnhofstraße, für die wachsende Kinderzahl gegen 1820 über 100, entschieden zu klein wurden, ward im Jahre 1832 an der Schlossstraße ein neues Schulgebäude errichtet, welches jetzt als Jugendheim dient. Erwähnt sei hier, dass Hovestadt früher auch Sitz eines Gerichts war. 1490 wird Godert von Ketteler als »Stoeheven des freien Stoels [?] tho Hovestadt« urkundlich erwähnt. Später hatten die Drosten der bischöflichen Burg das Recht der Gerichtsbarkeit. 1631 wird ein Richter Conrad Wienken in Hovestadt genannt. Im Hause Korbmacher-Hiek amtierte der letzte Hovestädter Amtsrichter Löcke um 1830.
Um gegen die vielen alljährlichen Überschwemmungen der Lippe verkehrsmäßig gesichert zu sein, wurde im Jahre 1848 der Damm, die feste Straße nach Herzfeld und die Flutbrücke errichtet. 1885 wurde die Lippebrücke gründlich überholt.
1855-1859 wurde hier durch freiwillige Beiträge der Kirchspiele Oestinghausen, Ostinghausen und Herzfeld das St.-Ida-Hospital erbaut, nachdem Graf Plettenberg das Grundstück, »Leiers Garten« an der Nordwalderstraße unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte. Es war zuerst vorgesehen, für 8 Patienten 3 Pflegeschwestern, welche vom Orden der Franziskaner [= Franziskanerinnen] aus St. Mauritz in Münster gestellt wurden. Arzt und Apotheke (letztere seit 1792) befanden sich bereits in Hovestadt. Die alljährlich durchgeführten Lebensmittel-Kollekten in den 3 Kirchspielen trugen nicht unwesentlich zur finanziellen Hilfe des gemeinnützigen Unternehmens bei.
1894/95 wurde das Haus bedeutend vergrößert durch den südlichen Neubau, im Jahre 1927 wurden durch Umbau auch die bisherigen Ökonomiegebäude einbezogen und letztere neu errichtet. 1963/64 nochmals umgebaut und modernisiert steht das St.-Ida-Hospital nunmehr als eine zeitgemäße Krankenanstalt vor unserem Auge. 13 Ordensschwestern, von weltlichen Kräften unterstützt, betreuen die Kranken und alten Leute, für welche 87 Betten zur Verfügung stehen. 1969 wurde das Schwesternhaus erstellt.
Auch im kulturellen Bereich tat sich einiges in der Gemeinde. 1857 wurde in Hovestadt der noch jetzt bestehende Männergesangverein Herzfeld-Hovestadt gegründet. Bis zum Jahre 1878, als der Verein nach Herzfeld übersiedelte, war der Gasthof Biele Vereinslokal, wo auch 1860 erstmals Theater gespielt wurde.
Das Jahr 1860 ist auch das Gründungsjahr des Schützenvereins Hovestadt-Nordwald, welcher alljährlich um Johanni Mittsommer sein Schützenfest nach alter Tradition begeht.
1866 wurde durch Beschluss der Amtsversammlung für den hiesigen Bezirk eine Sparkasse errichtet, mit dem Sitz in Hovestadt. Dieselbe war zunächst in Gödden Haus (jetzt Meck) untergebracht, seit 1894 im Hause Grundhoff, seit 1908 im Hause Schauff, seit 1922 im Hause Stern-Horstknepper und seit 1926 im Amtsgebäude. 1970 wurde der Sparkassen-Neubau errichtet.
1872-1881 besaß Hovestadt auch eine Rektoratsschule, 1884 erfolgte in Herzfeld eine Neugründung. Vorübergehend gab es auch eine »Höhere Töchter-Schule«.
Nicht unbedeutend muss im 19. Jahrhundert der Frachtverkehr auf der Lippe gewesen sein, begünstigt durch die zum Teil sehr schlechten Verkehrsverhältnisse dieser Zeit. Verfrachtet wurden auf der Lippe hauptsächlich Holz (p. Floß), Steine von Anröchte und Getreide. Ein Vorfahre der Familie Rüpping war der Schiffer Heinrich Rüpping, welcher die Lippe herauf gekommen war und hier 1834 ansässig wurde.
Hat die Lippe unserm Ort mit ihren Überschwemmungen des öfteren schweres Unheil gebracht, so haben andererseits die normalen winterlichen Überflutungen auch die Lippewiesen befruchtet. Das Lippegras und Heu galt nämlich immer als ausgezeichnet, (wenn es gut gewonnen war). Ein weiteres Geschenk des Flusses ist der geschätzte Lippesand. In den letzten Jahrzehnten des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts unterhielten die Familie Kleeschulte am Bruch und Stf. Piepenbreier beträchtliche Sandbaggereien auf der Lippe (am Bruch) und brachten das gewonnene Material mit Pferdefuhrwerken nach Soest. Nach dem ersten Weltkrieg betrieben Kleeschulte an der Brücke neben andern eine lebhafte Sandbaggerei auf der Lippe. Onkel Bernhard war die Seele des Unternehmens, welches als Handbetrieb vom Kahn aus getätigt wurde. Später hat noch Jul. Rodehüser mit seinem Motorbagger Sand gewonnen. Doch fiel auch dieser Betrieb der Zeit zum Opfer.
Berichtet werden muss noch über die große Überschwemmung im Jahre 1890. Durch anhaltenden, außergewöhnlich starken Regen im Herbst d. J. war die Lippe derart gestiegen, dass sie am 25. November über alle Ufer und Dämme brach und sich ziemlich plötzlich durch den Althof ins Dorf ergoss. Zur Rettung kam die Artillerie von Soest, welche mit Kähnen die bedrängte Bevölkerung aus den Häusern holte. Auch in Herzfeld standen verschiedene Gehöfte, in Kesseler und auf dem Sande unter Wasser. Große Schäden entstanden an Gebäuden und Inventar. Als am nächsten Tag Frost eintrat, sank das Wasser schnell.
1898 bekam Hovestadt Anschluss an das Eisenbahnnetz. Am 1. Mai d. J. wurde die Teilstrecke Soest - Hovestadt der Ruhr-Lippe-Kleinbahn, welche bis Arnsberg und Hamm verkehrt, feierlich dem Verkehr übergeben zum Wohl der gesamten Bevölkerung. Ursprünglich war die Endstation bei Biele, wurde aber später an den Ortsrand verlegt. Geplant war, die Bahn noch bis Herzfeld (über Bruch und Lippe) auszubauen, doch ist dieser Gedanke nicht verwirklicht worden. Nach 60jährigem Bestehen ist der ganze Betrieb auf die beweglichen Busse umgestellt worden.
In den Jahren 1903-1914 wurde in Hovestadt sehr viel gearbeitet, geopfert und gekämpft für die Errichtung der neuen Kirche. Die Schlosskapelle mit den z. T. recht unwürdigen Nebenräumen war für die hiesige Bevölkerung längst viel zu klein geworden, so dass ein Teil nach Herzfeld ging. Als dort 1903 die neue St.-Ida-Kirche fertiggestellt wurde, sind die Hovestädter dort in unfeiner Art vergrault worden. Daraufhin fassten beherzte Hovestädter Bürger den Entschluss, eine eigene Kirche zu bauen. Alsbald wurde mit den sonntäglichen Sammlungen begonnen. 1905 wurde der Verein »Frohsinn« gegründet, welcher mit dem Reinerlös aus dem im Sommer veranstalteten Waldfest und den schönen winterlichen Theater-Darbietungen den Kirchenbauverein wesentlich unterstützte. Darüber hinaus waren diese Veranstaltungen eine echte Bereicherung des kulturellen Lebens in unserm Dörfchen.
Die Petroleumlampen in den Häusern und an den Straßen wurden 1911 durch elektrisches Licht abgelöst. Den benötigten Strom lieferte zunächst die Firma Schramm in Bad Sassendorf. Später bekam Hovestadt Anschluss an die Vereinigten Elektrizitätswerke Arnsberg, Frühjahr 1914. Aus dem engeren heimatlichen Bereich wollen wir einen Blick werfen auf das Geschehen der vergangenen 60/70er Jahre in unserer größeren deutschen Heimat und auch mal über die Landesgrenzen hinaus.
Die Revolution 1848 wurde von den absoluten Fürstenhäusern mehr oder weniger gewaltsam niedergeschlagen. In den folgenden Jahrzehnten mussten die westdeutschen Herrscher allerdings doch dem Volksbegehren nachgeben und den Bürgern in steigendem Maße Mitsprache und Mitbestimmungsrecht durch die vom Volke gewählten Parlamente zugestehen. Bis zu einer echten demokratischen Verfassung war allerdings der Weg noch vielfach recht weit, bestand doch z. Z. in Preußen das sogenannte 3-Klassen-Wahlrecht noch bis Ende des ersten Weltkrieges.
Sehr schwierig gestalteten sich die Bemühungen um die Wiedererringung der deutschen Einheit. Nachdem 1864 Preußen und Österreich gemeinsam um die Heimholung Schleswig-Holsteins gekämpft hatten, siegte 2 Jahre später wieder der Bruderzwist über das Einheitsbestreben in Deutschland. Österreich von Preußen geschlagen, schied aus dem Deutschen Bund aus. 1871, nach dem Sieg über Frankreich, erfolgte dann die Gründung des kleindeutschen Reiches unter preußischer Führung und unter Anschluss Österreichs.
In den folgenden Jahrzehnten erlebte Deutschland eine wirtschaftliche Revolution wie nie zuvor. Aus einem Agrarstaat entwickelte sich unser Land zu einer der ersten Industrienationen der Welt. Die Erfindung der Dampfkraft und die Entdeckung und Nutzung der Elektrizität stand am Anfang dieser Entwicklung. Besonders das benachbarte Ruhrgebiet machte einen gewaltigen Umwandlungsprozess durch, wobei es allerdings auch nicht an sozialen Spannungen mancherlei Art (Arbeitsaussperrungen, Lohnkämpfen, Streiks u. ä.) fehlte. Während 4-5 Millionen Menschen aller deutschen Gaue und auch Tausende von Ausländern besonders Polen, hier Arbeit und eine neue Heimat fanden, blieb unserer engeren Heimat der landwirtschaftliche Charakter bis heute erhalten; doch wird die harte bäuerliche Arbeit heute auch weitgehend von landwirtschaftlichen Maschinen unterstützt. Grundverschieden von unserem ländlichen Gebiet ist der rheinisch-westfälische Industriebezirk seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus ehemaligem Bauernland, mit seinen Kohlenzechen, Stahlwerken und sonstigen Industrien, den zusammenhängenden Siedlungen und Städten zu einer der gigantischsten lndustrielandschaften der Welt geworden. Hier schlägt das wirtschaftliche Herz Deutschlands.
Kurz müssen wir noch die kulturellen Bestrebungen im Deutschland des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des 20ten erwähnen. Kunst und Wissenschaft, Theater und Musik fanden eifrige Pflege, nicht zuletzt durch die zahlreichen kleinen und größeren Fürstenhöfe. Musik kam, besonders in den Österreichischen Landen, zu höchster Vollendung und errang Weltgeltung. Die Architektur brachte es nach dem Erlöschen des Klassizismus allerdings nicht zu einem eigenen der technischen Zeit angepassten Stil und begnügte sich im wesentlichen mit der Nachahmung der Bauformen früherer Jahrhunderte. Immerhin ist es der Begeisterung und der Hingabe der Romantiker zu danken, dass die zahlreichen unvollendeten Dome des Mittelalters und auch berühmte weltliche Bauwerke (Kölner Dom, Ulmer Münster, Soester Wiesenkirche u. a.) nunmehr fertiggestellt und würdig restauriert wurden. Eine gewisse Rolle spielte der Jugendstil um 1900, Deutscher Forschungszeit und Erfindergabe, Fleiß und Tüchtigkeit hatten unser Volk hochgebracht. – Eine gewisse Überheblichkeit mancher Kreise machte das Deutschtum in der Welt teilweise unbeliebt, wozu ein gewisser Neid auf die deutsche Macht und Größe sicher beitrug.
Im Verhältnis zum Österreichischen Brudervolk war eine Wiederannäherung erfolgt, welche sich in dem Dreibund, dem auch Italien angehörte, verkörperte. In Österreich-Ungarn war das deutsche Element seit der 1806 erfolgten Trennung vom übrigen Deutschland allmählich in eine schwierige Lage gekommen, da es hier nur noch eine Minderheit darstellte. Die nationalistischen Bestrebungen der Tschechen, Polen, Serben, Magyaren u. a. zielten auf nichts Geringeres als die Zerschlagung der Doppelmonarchie. Der junge österreichische Thronfolger Franz-Ferdinand arbeitete diesen Bestrebungen mit aller Kraft entgegen und versuchte, auf gütlichem Wege die verschiedenen österreichischen Völker fester an die Habsburger Monarchie zu binden, z. T. mit Erfolg. Dass die extremen Führer der vielen Nationalitäten in demselben ihren größten Gegner sahen, ist natürlich. Und so kam es dann am 28. Juni 1914 zu dem grauenvollen Doppelmord an dem österreichischen Thronfolgerpaar in Sarajewo, welcher in der Folge den ersten Weltkrieg auslöste.
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