Ein Besucher kann im Kreis Soest drei verschiedene Landschaften unserer westfälischen Heimat erleben. Steht er auf dem Haarwege bei der Schäferlinde oder am Tollpost etwa, so hat er hinter sich den Teil des Sauerlandes, der mit dem Arnsberger Wald und dem Möhnesee in unser Kreisgebiet gehört. Vor ihm senkt sich die Haar in die ertragreiche Hellweg- und Bördelandschaft mit ihren durch Baumkronen fast verdeckten Dörfern. In die Mitte dieser Landschaft bettet sich die Stadt mit ihren Türmen, die auch beim Blick von oben nichts von ihrem gewaltigen Eindruck verliert. Über die Stadt hinweg findet das Auge eine Landschaft, in der Wälder und Gehölze zu überwiegen scheinen, und in der es schwer erscheint, die einzelnen Dörfer ihrem Namen nach zu bestimmen. Es ist das ein Teil des Münsterlandes, das hier an der Lippe entlang einige Kilometer breit, mal mehr, mal weniger tief in unser Kreisgebiet hineingreift. Wenn die Lippe nicht eine so bequeme Grenze wäre, dürfte dieser Teil eigentlich nicht zu unserem Kreise gehören. Lassen wir diese wenig bekannte und besuchte Landschaft unseres Kreises einmal zu Worte kommen.
Was der Blick von der Haar erahnen läßt, findet der Besucher bestätigt. Die Börde hat keinen Platz für den Wald; der tiefgründige Lößboden muß den Menschen Brot wachsen lassen. Hier an der Lippe wechselt die Fruchtbarkeit des Bodens stark. Der tonige Klei oder Mergel macht dem Bauern wenig Freude. Nach vorübergehenden Rodungen in früheren Jahrhunderten stehen auf diesen Böden längst wieder Laubgehölze.
Am Rande der alten Lippe-Überflutung hat der Wind Sanddünen aufgeweht oder weite Flächen mit Sand bedeckt. Entlang des alten Postweges, der von Hamm nach Lippstadt an der Lippe entlang führt und den man einmal in Niederbauer besuchen sollte, finden wir kiefernbestandene Heideflächen, von deren Hängen im Frühling die gelben Blütenruten des Ginsters leuchten, und auf denen im Herbst der violette Schimmer des Heidekrautes liegt. Selbst moorige Stellen fehlen nicht. Auch dort, wo die Heide verschwunden ist, sagt es noch der Name: Büninghauser Heide, Schoneberger Heide. Viele alte Sanddünen sind längst als Bausand in die Städte gewandert.
Hinter dem Sand- und Heidestreifen breiten sich bis zur Lippe hin Wiesen, die sie im Herbst und Frühling häufig überschwemmt. Im Frühling rasten auf diesem See von mehreren Kilometern Breite häufig die großen Wasservögel auf ihrem Zuge zum Norden. 1956 bot sich auf den überschwemmten Wiesen ein unvergeßliches Bild, als Tausende von Wildschwänen in den Abendstunden einfielen und morgens in endlosen Geschwadern nach Norden aufbrachen.
Reizvoll ist diese Landschaft - nicht so auffällig und gewaltig wie das Sauerland, sondern leise und zurückhaltend. Man muß diese Reize finden wollen. Es genügt nicht, mit dem Auto anzuhalten und das Fenster herunterzukurbeln.
Wie das Land sind seine Menschen. Sie scheinen den lauten Betrieb nicht zu lieben. Hinter Bäumen und Büschen, abseits vom Wege haben sie ihre Häuser versteckt. Der Boden bot ihnen nicht die Fülle der Börde, ihre Haltung ist daher bescheiden. Dabei sind sie beileibe nicht arm, dazu sind sie zu fleißig. Fast jeder hat auf seinem Hof eine kleine Werkstatt, in der er an den Winterabenden bastelt: einen Handwagen oder einen Roller für die Kinder zu Weihnachten, eine neue Schubkarre oder nur Zinken für die Harke. Gerade in diesen Dingen sind sie erfinderisch. Was man selbst machen oder erzeugen kann, darf nicht gekauft werden. Das gilt auch für Obst und Lebensmittel.
Bei diesen Leuten war eine besondere Form von Holzschuhen zu Haus, die „Stiefelholschen", die, wie Dr. Heinrich Luhmann schreibt, in seinen Kinderjahren seine ganze Sehnsucht waren. Es handelt sich um Holzschuhe, auf die das Oberteil von Schuhen genagelt war, und die immer warm hielten. Noch nach dem Kriege waren in den Lippedörfern Holzschuhmacher tätig. Das Holz dazu lieferten die zahlreichen Pappeln und Weiden an den Vorflutergräben. Einer besonderen Wertschätzung erfreuten sich die Stiefelholzschuhe bei den zahlreichen Maurern, die fast als einzige Handwerker in ihren schmucken Häuschen in diesem Gebiet lebten. Sie mußten auf den zahlreichen „Pädkes" in das Soester Gebiet wandern, um an ihre Arbeitsstelle zu gelangen.
Wer dort Bekannte hat, möge sich einmal eines der großen Fachwerkbauernhäuser zeigen lassen. Häufig sind sie heute noch nicht umgebaut, weniger aus Geldmangel, eher aus Ehrfurcht vor dem Alten. Dann sieht man noch rechts und links der Deele die Ställe, gelangt in eine übergroße Diele, in der in den Ecken Treppen in die oberen Kammern führen. In der Mitte der Rückwand gewahrt man noch die alte offene Feuerstelle, die natürlich nicht mehr in Betrieb ist. Durch die kleinen Fenster blickt man in den Garten, in den Obsthof, über die Felder zum Nachbarn, der sich ebenso einsam inmitten seines Besitzes niedergelassen hat.
Daß man einsam wohnt, bedeutet nicht, daß man ungesellig wäre. Ich wüßte nicht, wo die Nachbarschaften mehr gepflegt würden als hier.
Gern trifft man sich sonntags nach dem Gottesdienst in der Gastwirtschaft und tauscht Neuigkeiten aus. Und wer erst ihre Schützenfeste mitgefeiert hat, weiß, wie gesellig diese Menschen sein können.
Wer hier unter diesen Menschen und in dieser Landschaft gelebt hat, wird ein Stück Liebe dort lassen müssen. Sollte Ihnen, die Sie in einem anderen Teile unseres Kreises wohnen, einmal ein Ziel für einen Wochenendausflug fehlen, so besuchen Sie diesen so wenig bekannten Teil unseres Kreises und lassen sich ganz gefangennehmen von der Stille und von der weichen Schönheit. Selbst einen Strauß der großen roten und weißen Lichtnelken dürfen Sie sich pflücken, sie wachsen dort als zahlreiches Unkraut. Ich bin sicher, Sie kommen oft hierher zurück. Aus: Heimatkalender des Kreises Soest, 1963
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