Das Dorf Hultrop darf sich rühmen, eine Ortschronik zu besitzen, wie sie wohl nur wenige Landgemeinden unseres Kreises aufzuweisen haben. Sie hat zum Verfasser den von 1888 bis 1903 in Hultrop amtierenden Pfarrer Dr. Bernard Köper. Seine Aufzeichnungen liegen gedruckt vor in 21 Beiträgen, die in der Beilage „Sonntagsfeier" des „Westfälischen Volksblattes", Paderborn, in der Zeit vom 9. 12. 1900 bis 23. 11. 1902 erschienen sind. Wenngleich der Verfasser auch in erster Linie eine Darstellung der Entwicklung der. kirchlichen Verhältnisse unter Auswertung der Urkunden des Pfarrarchivs geben will, wachsen sich seine Ausführungen dennoch zu einer wertvollen Dorf- und Heimatchronik aus. Sie entstand in einer Zeit, in der man kaum daran dachte, auch die Geschichte eines kleinen Dorfes festzuhalten, das wenig Zusammenhang hatte mit den großen historischen Ereignissen „draußen in der Welt". Pfarrer Köper, der Verfasser dieser „Geschichte von Hultrop", wird im Nekrolog der Geistlichen des Bistums Paderborn „ein begabter, doch etwas unruhiger Mann" genannt. Das macht sein Lebensweg deutlich: er wurde am 27. Januar 1846 in Rönkhausen, Kreis Meschede, als Sohn eines Landwirts geboren, machte seine Gymnasialstudien in Olpe und Paderborn, 'die theologischen in Rom. Dort erwarb er auch den Grad eines Doktors der Theologie. Da eine Tätigkeit; für ihn in seiner Heimatdiözese wegen der damaligen politischen Verhältnisse vorerst nicht möglich war, wirkte er zunächst außerhalb des Paderborner Bistums - u. a. sechs Jahre als Religionslehrer an dem privaten Lehrerinnenseminar zu Dingelstädt (Eichsfeld), ein Jahr als Kaplan in der Diözese München, kurze Zeit als Hauslehrer in der Nähe von Lüttich, dann über vier Jahre als Professor der Moral und der Kirchengeschichte in Oscoot bei Birmingham (England). Nach seiner Rückkehr in die Heimat war er zwei Jahre. Kaplan in Hamm und wurde dann Pfarrer in. Hultrop.
Die Generation der Siebzigjährigen und Älteren erinnert sich noch deutlich des Wirkens des seeleneifrigen Priesters, der als strenge galt, den strengsten Maßstab aber in allem an sich selbst legte. Er war bedürfnislos bis zur Askese, furchtlos und von unbestechlicher Gerechtigkeit, ein Freund der Armen, ein glänzender Redner - im kleinen Dorf aber fehl am Platze. Am Ende seiner Tätigkeit in Hultrop kam es zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinen Pfarrkindern. Es ging u. a. darum, daß Dr. Köper der Gemeinde nahelegte, ihr altes Recht, den Pfarrer wählen zu dürfen, der bischöflichen Behörde abzutreten, damit die Stellenbesetzung von weiteren Gesichtspunkten aus erfolgen könne. Er stieß auf den Widerstand harter Bauernschädel, und da er von gleicher Art war, setzte es Kampf ab. Pfarrer Köper gab schließlich sein Amt in Hultrop auf, fand Aufnahme in einem Kloster, kehrte dann aber in die Seelsorge zurück. Er war nacheinander Vikar in Fretter, Elspe und Hellefeld und wieder Pfarrer (in Bosseborn bei Höxter, von 1909 bis 1912). Er starb am 3. Juni 1914 in Paderborn, wo er auch seine letzte Ruhestätte fand.
Der Verfasser dieser Zeilen sieht im Geiste die hohe, hagere Gestalt des Pfarres am Altare, auf der Kanzel oder durch das Dorf schreiten. Er lachte wohl nur, wenn ihm Kinder begegneten. Sie hatten keine Angst vor ihm, ließen sich auf den Arm heben und zu einer etwas sonderbaren Liebkosung das Gesicht mit den pfarrherrlichen Bartstoppeln streicheln, daß davon noch lange ein Brennen zu spüren war. Aus der „Geschichte von Hultrop" bringen wir zwei kleine Abschnitte.
A u s d e n A n f ä n g e n d e r K a p e l l e n- u n d K i r c h e n g e s c h i c h t e
Das in 67 Wohnhäusern 385 Bewohner zählende Dorf Hultrop (Alt: Hullendorpe, platt: Hullerpe oder Hullerup) bildet mit den bis zu einer starken halben Stunde entfernten Bauerschaften Heintrop und Büninghausen eine rein katholische Pfarrgemeinde von 700 Seelen. Es liegt an der Lippe, schräg gegenüber von dem münsterländischen größeren Pfarrdorfe Lippborg, im nordwestlichen Teile der Decania Susatensis (Dekanat Soest) im alten „Kölnischen Westfalen", welches seit 1821 (resp. 1825) zur Paderborner Diözese gehört. Das in der niederdeutschen („platten") Mundart auf einem Pergamentblatt geschriebene älteste Dokument oder Schriftstück des Archivs zu Hultrop ist aus dem Jahre 1487 und behandelt eine Küsterfrage. Hultrop war damals noch eine Filiale der Pfarrei Oestinghausen, und es scheint, daß der Küster der Pfarrkirche die Einkünfte für den Küsterdienst auch in der Filialkapelle allein beanspruchte. (Dr. Köper geht nun auf Einzelheiten der Urkunde ein, die hier weniger interessieren dürften). Dann berichtet er weiter über Hultrop:
„Op Kermesse" kam der Küster der Pfarrgemeinde Oestinghausen zur Filialkapelle und „sang", offenbar als Chorsänger beim Hochamt, wofür er auch „Präsente empfing". Unter dieser „Kirmes" ist entweder das Kirchweihfest oder das „Patrocinium" (Patronsfest) oder beide zu verstehen. Ihr Dedikationsfest feierte die Filialkapelle am Sonntag „Exaudi" (6. nach Ostern); als Pfarrkirche im Jahre 1719 neugebaut, erhielt sie als Kirchweihfest den Tag des heiligen Laurentius (zugleich von altersher Conpatron), bis i. J. 1770 durch erzbischöfliche Verordnung die Kirchweihfeste aller Pfarrkirchen auf den Sonntag nach Martini zusammengelegt, die der Kapellen aber unterdrückt resp. verboten wurden - Patronsfest war stets der Tag der heiligen Barbara (4. Dez.); mit der hl. Barbara wurde aber zugleich der hl. Laurentius als Patron verehrt und könnte nach der Ausdrucksweise verschiedener Dokumente zu gewissen Zeiten scheinbar sogar als erster oder Hauptpatron gegolten haben. (Hier zieht Pfarrer Köper Urkunden zum Beweis seiner Annahme heran). Dann fährt er fort:
Die besondere Verehrung der volkstümlichen hl. Barbara als „Patronin eines guten Todes" scheint von alten Zeiten her ihr Gotteshaus zu Hultrop zu einer Art Wallfahrtsort für die Umgebung gemacht zu haben; vielleicht hängt damit auch die so reichliche Ausstattung einer einfachen Dorfkirche mit Liegenschaften zusammen. Ein noch in einem einzigen Exemplar vorhandenes St.-Barbara-Büchlein unter dem Titel: „Thaumaturga” oder Glorwürdige. Ertz-Wunder-Wirkerinne und weltkundige Nothelferinne, wie da ist Eine Nicomediensische Jungfrau und Martyrinne, die heilige Barbara, Von der Pfarrkirchen hochgedachten heiligen Jungfrau und Martyrin in Hultrop, Ertz-Stiffts Cöllen an dem Fluß Lippe, zum erstenmahl 1695, nun zum ändern auff ernstliches Ansuchen vieler frommen Heylbegierigen daselbst und umliegender Nachbarn 1737 auffgelegt", ist Zeuge dieser Verehrung.
B e v ö l k e r u n g s s c h i c h t u n g n a c h 1 8 0 0
Der Pfarrgemeinde Hultrop stand das Recht zu, ihren Seelsorger selbst zu wählen. Als Wahlberechtigte kamen nur erwachsene männliche Mitglieder der Pfarrgemeinde in Frage.
Das Wahlprotokoll vom 9. Februar 1804 zählte in der Gemeinde Hultrop 38, in der Gemeinde Heintrop (mit Büninghausen) 31 „Stimmen habende Eingessene", von denen 34 + 23 = 57 erschienen waren. „Diese erklärten sodann einstimmig, daß sie zu ihrem künftigen Pastoren ernannten Herrn Pater Joseph Hohoff aus der Abtei Grafschaft (das Benediktinerkloster Grafschaft bei Schmallenberg war nach 700jährigem Bestehen vor kurzem aufgehoben worden). Die bescheidene Anzahl der Stimmen erklärt sich daraus, daß man nicht alle selbständigen Männer der Pfarrgemeinde, auch noch nicht alle Familienhäupter oder die, welche einen „eigenen Herd" (eigene Haushaltung) haben, ja noch nicht einmal alle Hausbesitzer, sondern nur die althergebrachten Grundeigentümer für wahlberechtigt hielt. Diese waren entweder „Drillinge" oder „große Kötter" oder „kleine Kötter". Wie mir ein vor einigen Jahren gestorbener hiesiger Landwirt, der einzige, der noch über die Sache Aufschluß geben konnte, erklärte, galt als „Drilling", wer an Besitztum drei kleinen Köttern (oder zwei großen) gleichkam; der „Bauer" oder „Colon" wog mindestens vier auf.
Es gab und gibt also in unserer Gemeinde eigentlich keine „Bauern" und deshalb glücklicherweise auch keinen sog. Bauernstolz, wohl aber ein auf Einfachheit und Genügsamkeit basierendes Auskommen und keine harte Armut. Nach einem Dokumente von 1803, in welchem die genannte Dreiteilung vorkommt und einem gewissen Adam M. ein Bauplatz auf Gemeindegrund in Erbpacht gegeben wurde, „besteht die Gemeinde Hultrop aus 8 Spann"; dieser Ausdruck ist mir nicht klar geworden. „Die Gemeinheitsteilungs-Recesse" von 1823 resp. 1824 (schon von 1809 an war die Verteilung der großen Gemeindegrundkomplexe in die Wege geleitet) kennen in Hultrop 15 Drillinge, 7 große und 16 kleine Kötter; in Heintrop-Büninghausen 15 Drillinge, 8 große und 8 kleine Kotier. Für die „Beilieger" ("Beiwohner" oder „Beisitzer"; nicht zu verwechseln mit „Mieter"), deren es hier wie dort noch eine ganze Reihe gab, die durchschnittlich ihre eigenen oder höchstens erbpachtpflichtige Häuser hatten, reserviert der Receß einen Teil der früheren Gemeinheitsweide, der nicht mitvereilt wurde. Diese „Beiwohner" hatten also 1804 noch keine „Stimme", während später das Wahlrecht erweitert wurde, wie denn überhaupt, zumal seit 1848, die früher -mehr helotisch behandelten „Beilieger" mit der größeren Freiheit und Selbständigkeit auch mehr aktive Teilnahme an den Gemeindeangelegenheiten erlangten. Kein Wunder also, daß die Wählerliste von 1865 auf einmal 118 Berechtigte kennt, dagegen nur 69 im Jahre 1804, trotzdem eine bedeutende Vermehrung der Pfarrei und der Häuser seit 100 Jahren nicht stattgefunden hat.
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