Der Geist vom Wietin

Früher glaubte man, auf dem Hofe Wietis triebe ein Geist sein Wesen. Seine Wohnung hatte er im Herde, als der heiligen Stätte des Hauses. Von der Ehrfurcht, mit der man ihm in alten Zeiten begegnet sein mag, blieb schließlich nur die geheime Furcht übrig.

Einmal erwachte der Wietisbauer in der Nacht von polternden Schlagen im Hause. Er glaubte nicht anders, als daß der Geist sich rühre und geriet in Schrecken. Schließlich faßte er sich ein Herz, weckte seine Knechte, die auf der Bühne schliefen, und ging, mit einem Knüppel bewaffnet, in die weitläufige Halle. Küche und Deele waren damals noch nicht durch eine Wand getrennt. Man wandte sich zunächst dem Herde zu, der aber in Ruhe dalag. Schließlich fand sich eine eher erheiternde Erklärung für den Lärm in der Deele: Auf der Tenne lag ein junger Esel, der mit seinen Hufen eine Kaffkiste oder einen ähnlichen Behälter bearbeitete. Vielleicht hat man deshalb später immer einen Esel auf dem Hofe gehalten. -

Wenn de laensel grötter wät,
ä’ de Stall,
dann dait me'n Stall in'n läensel.

Julie Varnholt berichtet weiter, daß der Hof Wietis wegen seines Reichtums und seiner einsamen Lage von Dieben aus der weiteren Umgebung heimgesucht und bestohlen worden sei. Man glaubte, die Täter zu kennen, und Bußprediger redeten ihnen in der Oestinghauser Kirche ins Gewissen.
Eines Morgens fand der Bauer vor seiner Tür Geld in Umschlägen, mit dem die Reumütigen ihre Schuld begleichen wollten
Die Wietis zeigten sich für diese Hilfe, die sie von katholischer Seite erfahren hatten, erkenntlich. Wenn die geistlichen Schwestern von Hovestadt mit ihrem Eselswagen auf den Hof kamen, um Spenden für ihr Spital, in das auch die kranken Brockhauser gingen, zu erbitten, wurden sie immer reich bedacht.

Ungewöhnlich ist auch eine Überlieferung, die mir in mehreren Varianten zugetragen wurde, weil sie sich nicht nur räumlich, sondern auch in einem bestimmten Zeitraum auf den Hof beziehen läßt. Die Weslarner Kirchenbücher konnten Auskunft darüber geben, wie lange die Kinderlosigkeit auf dem Wietin angehalten hat. Man weiß, daß über Generationen die Hofesnachfolger vom Wietis-Hof in Opmünden nach Brockhausen kamen. Diese Eigentümlichkeit der Familiengeschichte wird mit einer Verwünschung in Verbindung gebracht, bei der der Geist vom Wietin zum letztenmal eine fatale Rolle gespielt zu haben scheint.

 

Der verwünschte Kindersegen

Einmal war eine Zigeunerin auf dem Hof. Man mag sie aufgefordert haben, die Zukunft zu deuten. Vielleicht versagte man ihr auch eine Bitte und erweckte so ihre Mißgunst. Jedenfalls wandte sich das Weib an den Herd mit dem Holhaken. Sie schleuderte eine Bratwurst als Geschenk für den Geist im Kamin hoch. Dieser schien ihr auch willfährig zu sein, denn die Wurst kam nicht wieder herunter. Darauf verkündete sie, mit dem Rücken zu den Hausleuten gewandt, daß in 100 Jahren auf dem Hofe kein Kind mehr heranwachsen würde. - Die Alte hatte mit der Wurst nach einer ,,fatalen" Speckseite geworfen!

Diese Prophezeiung hat sich dann auch erfüllt. Mit Erleichterung ist aber festzuhalten, daß das Verhängnis von begrenzter Dauer gewesen ist. Nach 1975 wurden Kirsten und Frank als Kinder des Landwirts Friedrich-Wilhelm Schulze-Wietis und seiner Ehefrau Ursula geboren. Sie sind auf dem Brockhauser Hof Wietis herangewachsen und erfreuen sich guter Gesundheit.
 

Auch Borgeln lebendig

Abschließend sei auf die Sage von den Donneras-Pferden hingewiesen, die sich - wenn auch nur hypothetisch - mit der ,Donnerkuhle" in Verbindung bringen läßt. Mit Donner (Donar) zusammengesetzte Flurnamen tauchen außer hier nirgends im BK auf. Die Sage ist in Borgeln noch lebendig und in der Literatur mehrfach tradiert.

Unter Besinnung auf das von den Römern zerstörte germanische Heiligtum Tanfana, das frühere Historiker dem westlich von Borgeln gelegenen Fahnen zuordneten, beschreibt Weimann die Donneras-Pferde oder Kracken = Kru(c)ken.

Nach den verschiedenen Überlieferungen zieht das ,,wilde Heer" in den Donnerstag-Nächten in östlicher Richtung die “Grüggelstraße” nach Borglen hinauf rastet schließlich an verschiedenen Gewässern, so zum Beispiel am Krukengraben die Krucken trinken und baden, bevor sie zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Obwohl die Sage in Brockhausen nicht (mehr) bekannt ist, läßt sie sich recht gut auf die Situation an der Donnerkuhle, in der es früher mehrere Gräben gab, und auf die benachbarte Flur Krug, eventuell sogar auf die Haarkrücken, verstanden als die Krücken des wilden Heere projizieren. Gegen die Annahme, daß der Krug auf eine frühere Schänke verweisen könnte, spricht die Abgelegenheit der Stelle in der Feldflur. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang, da Schnitter beim Harkemai die letzten Halme für “Wodans Hengst" stehenließen.

Wir haben gesehen, daß Sagen durchaus ,,weit hergeholt” sein können. Trotzdem ist gegenüber der Hypothese der Verbindung von Donneras- Pferden und Donnerkuhle Skepsis angebracht.

Hoffentlich bleibt uns die Notwendigkeit erspart, die Sagen aus aktuellem Anlaß und unter okologiischen Aspekten zu “entmythologisieren": ,,Dem Gebiet zwischen Hüttin und Wietin droht. die ,,Vegrausung" durch den Törven 2, der 1991 als Standort einer Hochmülldeponie zur Debatte stand.