Hilde Claussen

Ein Kaminbild des 18. Jahrhunderts aus Haus Brockhausen

 

Beim Abbruch des Herrenhauses Brockhausen (1970), der bedauerlicherweise nicht verhindert werden konnte, obwohl er einen Bau des 18. Jahrhunderts mit Rokokoausstattung betraf, gelangten größere Teile der wandfesten Ausstattung in den Kunsthandel. Das Kaminbild des Hauptsaales kam auf diese Weise in Paderborner Privatbesitz, leider ohne seinen Stuckrahmen mit Rokokoornament, der an die Wand stuckiert war und dessen Abnahme dem Händler daher wohl zu mühsam und kostspielig erschien.

Mit der an uns herangetragenen Bitte des neues Besitzers, ihm über die dargestellte Szene Auskunft zu geben, stellte sich auch die Frage nach der künstlerischen Herkunft, d. h. in diesem Falle nach der Vorlage des Gemäldes, da in ihm eine Kopie zu vermuten war.

Das Bild (Ölmalerei auf Leinen, Höhe 179 cm, Breite 108 cm) stellt das unglückliche babylonische Liebespaar Pyramus und Thisbe dar (Ovid, Metamorphosen 4, 55-166), ein seit der Antike in der bildenden Kunst oft wiederholtes Thema, das im Barock zu den bevorzugten, gefühlsbetonten Darstellungen der antiken Mythologie gehörte.
 

Kaminbild


Stich von Louis Deplaces nach einem Gemälde von Antoine Coypel


Es ist die rührende Geschichte von zwei Nachbarskindern, die in Liebe zueinander entbrannt sind und deren Väter jede nähere Verbindung verhindern. Sie entschließen sich zu einem heimlichen nächtlichen Treffen vor der Stadt, das tragisch endet. Auf dem Kaminbild ist - wie auch sonst - der Höhepunkt der Tragödie dargestellt. Von der lodernden Fackel des Eros beleuchtet, beugt Thisbe sich über den sterbenden Pyramus, den sie mit beiden Armen umfaßt. Nach Ovid hat der verzweifelte Jüngling sich in sein Schwert gestürzt, da er anstelle der Geliebten am vereinbarten Treffpunkt nur ihren blutigen Schleier fand und wähnte, daß sie von einem Löwen zerrissen sei, dem sie in Wirklichkeit entfliehen konnte. Der blutige Schleier und der Degen am Boden neben der Gruppe zeugen im Gemälde von diesem Geschehen, im Hintergrund sieht man den Maulbeerbaum und das Grabmal des Ninus, die Ovid als vereinbarten Platz des Treffens nennt.

Das nicht »in figura« gezeigte, doch jedem gebildeten Betrachter des 18. Jahrhunderts vertraute Ende der tragischen Fabel: Thisbe, die ihrem Geliebten in unverbrüchlicher Treue in den Tod folgt, machte das babylonische Liebespaar zum Sinnbild treuer Liebe bis in den Tod. Dieser sinnbildliche Bezug könnte dem Gemälde mit Pyramus und Thisbe wohl auch in Haus Brockhausen seinen prominenten Platz über dem Kamin im Festsaal verschafft haben.

Die Suche nach ähnlichen Darstellungen des antiken Themas im 18. Jahrhundert ergab, daß der uns unbekannte Brockhäuser Maler - entsprechend der Mode seiner Zeit - auf eine französische Vorlage zurückgegriffen hat. Wahrscheinlich nur indirekt hat ihm ein Gemälde des Pariser Malers Charles Antoine Coypel (1694-1752) als Vorbild gedient. Die Werke dieses erfolgreichen, in seiner Zeit weithin geschätzten Malers, der bis zum »premier peintre du roi« und Direktor der Akademie aufstieg, sind großenteils schon bald nach ihrer Entstehung durch Nachstiche verbreitet und weithin bekannt geworden, so auch das Gemälde mit Pyramus und Thisbe, das von dem Pariser Zeichner und Stecher Louis Desplaces (1682-1739) graphisch reproduziert worden ist. Sein Stich dürfte dem Brockhäuser Maler vorgelegen haben.