Als das Sauerland auf einmal um die Ecke lag

1898 war Jungfernfahrt der Eisenbahn nach Hovestadt

Es war der Anschluß Lippetals an die weite Welt, als heute vor genau 100 Jahren die Kleineisenbahnstrecke Hovestadt-Meschede feierlich eröffnet wurde.

Unbekanntes Land fing für die einfachen Menschen im Jahre 1898 oftmals schon in Soest oder im Sauerland an. „Wer kein Pferd hatte, war vorher auf die eigenen Füße angewiesen", stellt Felix Bierhaus die revolutionäre Bedeutung des Verkehrsmittels Eisenbahn heraus.

Auch über die Geschichte des „Pengel Anton“, wie die Bahn im Volksmund liebevoll genannt wurde, hat der Hovestädter Hobby-Historiker Text- und Fotomaterial in seinem Privatarchiv, das er der Westfalenpost zur Verfügung stellte.

Von Hovestadt über Niederbauer und Oestinghausen führten die Schienen bis Soest. Auf einer Nebenstrecke, die 1904 dann den Anschluß nach Hamm erhielt, von Oestinghausen auch über Oesterheide und Hultrop bis Lippborg.

Um 1910 kamen Pläne auf, die Bahnlinie von Hovestadt aus über die Brücke bis Herzfeld und Beckum zu erweitern. Dazu ist es aber dann — bedingt auch durch den Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 — nicht gekommen.

Neben den Reisenden waren es aber vor allem Güter, die zu Beginn unseres Jahrhunderts über die Schiene ein- und ausgeführt wurden.
Milch, Sand und Rüben wurden beispielsweise per Schiene aus Lippetal mitgenommen, Kohle dafür hergebracht.

Obwohl die im Zweiten Weltkrieg zum Teil zerstörten Gleise erst kurz vorher wieder erneuert worden waren, kam 1954 das Aus für den „Pengel Anton“. Bei der Konkurrenz von Bus und Lkw rentierte sich die Ruhr-Lippe-Kleinbahn nicht mehr. Und heute künden - abgesehen von den Lippborger Gleisen Richtung Hamm - nur noch einige Bahnhofshäuschen von den Zeiten, als noch Züge durch Lippetal fuhren.

Die Nutzung allerdings hat sich im Laufe der Jahre geändert.
Während in Hovestadt Wohnraum entstanden ist, beherbergt das ehemalige Lippborg-Heintroper Bahn-Domizil heute die „Annabelle Bar“.

Aus: Westfalenpost vom 1. Mai 1998

“Pengel-Anton” schnaufte 1898 erstmals

Der 1. Mai ist für alle Einwohner im Tal der Lippe ein besonderer Tag, dessen historische Bedeutung, genau wie der Dampf der ersten Kleinbahn-Lokomotive, längst verdampft ist. Heute vor genau 100 Jahren, am 1. Mai 1898, fuhr der legendäre „Pengel-Anton“ zum ersten Mal von Neheim über Soest nach Hovestadt und eröffnete ungeahnte Möglichkeiten für alle Einwohner und nicht zuletzt für Handwerk, Handel und Gewerbe.

Wieviel Wohlstand dieses öffentliche Verkehrsnetz zwischen Ruhrgebiet und Soester Börde jedem Einzelnen gebracht hat, kann heute nur noch erahnt

werden. Sicher ist, daß mit dem Beginn der Mobilität der technische Fortschritt unaufhaltsam seinen Siegeszug nahm. Reich bekränzt startete der erste Zug bereits um 6.30 Uhr in Neheim-Hüsten mit dem Ziel Hovestadt über Soest, nebst vielen ungezählten geladenen Ehrengästen, unter ihnen selbstverständlich die „Spitzen der Verwaltungsbehörden“.

Holzbänke in den Zugabteilen sorgten für Sitzkomfort, der Ausstattungsluxus bestand lediglich in der Auswahl der ersten, zweiten und dritten Beförderungsklasse. Jubelnd empfingen die Einwohner die Kleinbahn in den einzelnen Ortschaften. Oestinghauser Schüler nutzten die Schulpause zum Empfang. Pauken und Trompeten der Oestinghauser Musik-Kapelle sorgten für die musikalische Unterhaltung der Festgäste. In Höhe der Besitzung Niehaus (heute Ziegelei Bertram) begrüßten Böllerschüsse sowie wehende Tücher und Fahnen das „Schnauferl“. Für das Festmahl, serviert im Saale Biele in Hovestadt, waren damals die Gemeinden des Amtes Oestinghausen verantwortlich.

Überliefert ist laut Fahrplan vom 1. Mai 1900, daß die Kleinbahn sechs Mal am Tag von Soest nach Hovestadt fuhr. Von der Kohle bis zur Zuckerrübe beförderte sie in den Folgejahren Güter für Industrie, Handel und Landwirtschaft und nicht zuletzt die Post.
Sogar die Stahlträger für die Brücken des Lippe-Seitenkanals erreichten mit der Kleinbahn Oestinghausen. Um die Jahrhundertwende klebte ein Mitarbeiter einen Aufkleber auf den Stall der Kirchenkrippe St. Stephanus: „Mit der Kleinbahn von Soest nach Oestinghausen“.
Neben den einzelnen Haltestellen waren die Bahnhöfe Oestinghausen und Hovestadt Dreh- und Angelpunkt im Personen- und Frachtverkehr der Kleinbahn. Im Jahre 1904 wurde das Schienennetz im Lippetal um die Strecke Lippborg/Hamm ausgebaut.

Neben den bekannten Haltestellen berichtet die Chronik nicht zuletzt vom „Eierbahnhof“ in ländlicher Idylle zwischen Lippborg und Vellinghausen:
Hatten doch dessen Bewohner, die Familie Beewerth und nicht zuletzt die gefiederten Freunde, die zahlreichen Hühner der Familie, immer ein Herz für die RLE. Woche für Woche plauschte man hier über Gott und die Welt und selbstverständlich auch über die Eierproduzenten. Anzumerken bleibt, daß geplant war, das Schienennetz der Kleinbahn von Hovestadt nach Herzfeld über Diestedde nach Beckum auszubauen. Während alle übrigen geplanten Strecken der Kleinbahn auch verwirklicht wurden, scheiterte dieser Plan nicht zuletzt an einer natürlichen Grenze: der Lippe.
                                                                                                                                    Magdalene Schomacher

Aus: Die Glocke vom 1/2/3. Mai 1998