Er ließ die Heiligen in Holzschuhen tanzen Dem großen Heimatdichter Dr. Heinrich Luhmann zum 100. Geburtstag
Auf Weihnachten getauft zu werden, ist gewiß etwas Besonderes. Dieses seltene Glück wurde dem Dichter Heinrich Luhmann zuteil. Und etwas weihnachtlich Frohes und Glückverheißendes offenbarte sich in seinem ganzen Lebenswerk.
Am 22.12.1890 erblickte er in Hultrop an der Lippe, nur wenige Kilometer nördlich von Soest, das Licht der Welt. Seine guten geistigen Anlagen befähigten ihn zum Lehrerstudium. In Kirchhundem, mitten im Sauerland, trat er seine erste Lehrerstelle an. An der Universität Münster promovierte er zum Dr. phil. Daselbst und auch in Soest war er als Rektor einer Volksschule tätig. Und wenn Luhmann auch die Lehrbefähigung für das Gymnasium aufweisen konnte, er zog die Volksschule vor, da diese Schulform ihm heimat- und volksverbundener erschien. Als Schulrat wirkte er später in Warendorf und von 1935 bis 1945 als Oberregierungsrat in Arnsberg. Ein starkes Augenleiden ließ ihn dann den Ruhestand wählen, der aber für ihn erst recht eine ungemein schöpferische Periode dichterischen Schaffens war. 60 Erzählbücher entstanden in dieser Zeit, und ungezählte Beiträge und Gedichte für den „Soester Heimatkalender" und „De Suerlänner" flössen aus seiner Feder.
Wenngleich sein Augenleiden weitere Dichterlesungen für ihn selbst unmöglich machten, H. Luhmann bewies bis an sein Lebensende, daß er kein Kind von Traurigkeit und Resignation war. Das hatte sich schon ganz am Anfang seines dichterischen Schaffens gleich nach dem 1. Weltkrieg gezeigt. Als damals das ehemals glanzvolle Kaiserreich in den Revolutionswirren zusammenbrach, da erschien auf dem deutschen Büchermarkt sein erstes Buch, das so ganz und gar nicht in diese erregte und aus den Fugen geratene Zeit passen wollte. Es hatte Herz und Gemüt, erzählte unbekümmert und lebensgläubig besinnliche, auch fröhliche Geschichten und trug den friedlichen und idyllischen Titel „Wo die Wälder Wache halten". Ja, damals im sauerländischen Kirchhundem tätig, hatte er am eigenen Leibe wohltuend verspürt, daß dort die Wälder wirklich Wache halten und schützend über den Behausungen der Menschen stehen.
Seitdem zogen unruhige Jahre und Jahrzehnte ins Land voll bedrohlicher Entwicklung. Der Wind blies aus verschiedenen Richtungen. Heinrich Luhmann blieb sich und seiner westfälischen Heimat treu. Er bekannte später, daß er den westfälischen Menschenschlag gezeichnet habe zur Stille und zum Besinnlichen neigend, mit verhaltenem Humor, echt bäuerlich, zäh an der Scholle haftend und dem Alten verbunden. Wörtlich: „Was mir von den Ahnen im Blute lag, was ich selber lebte und litt und was mir das Wissen um die Vergangenheit meiner engeren und weiteren Welt zutrug, das suchte ich erzählerisch zu gestalten."
Himmel und Erde sind in H. Luhmanns Werken benachbart. Er hat für seine dichterische Art ein gültiges Sinnbild geschaffen, als er die Heiligen in Holzschuhen tanzen ließ.„Die Heiligen in Holzschuhen", so heißt das schönste seiner Frühwerke, das ihn weit über Westfalens Grenzen bekannt machte. Die Heiligen müssen sich da manches gefallen lassen. Der frierende Petrus an der Himmelspforte freut sich über ein Paar westfälischer Weidenbaumholzschuhe, mit denen er in der Himmlischen Gesellschaft arg auffällt. Das Christkind selbst liegt in der heiligen Nacht zusammen mit dem Küsterkind in der Weihnachtswiege, weil kein anderer Platz mehr da ist. Und so geht's fort. Josef Nadler, einer der bedeutesten Literaturkritiker, hat diesen Legenden das Prädikat gegeben: „mittelalterlich kühn und wahrhaft fromm". Es ist ein stilles und innerliches und doch fröhliches Buch. Die Lust am Lauten ist ihm fern.
„Vergeßt nicht das Leise und das Kleine!" Das schrieb H. Luhmann als Widmung in ein Buch, das er mir bei unserem letzten Zusammentreffen 1972 in Hamm als altem Hultroper schenkte. Und in ein anderes Buch schrieb er sinnigerweise: „Ein gutes Lachen ist wie ein Gebet." Das war so echt Heinrich Luhmann, Goldkömer von Lebensweisheit.
Als weitere Werke der 20er Jahre möchte ich nur noch die Erzählbücher „Walddoktor Willibald", „Vogel Wunderlich" und„Die Abendstube" nennen. In der Folgezeit wandelte sich der fröhlich fabulierende Poet in einen strengen Epiker. Der Roman „Das Sündenwasser" gehört zu seinen besten Büchern. Auch die historischen Bauernromane „Pflug im Acker" und „Der Bauernreiter" führen in die Welt von Schuld und Sühne, während er in seinem Buch „König Vogler" die Taten des großen Sachsenkönigs Heinrich zu einer volkstümlichen nationalen Sage von dem bäuerlichen König und königlichen Bauern verdichtet.
Neben diesen großen Werken verdienen von Luhmanns Büchern zwei eine besondere Hervorhebung. Das ist die in zwölf Monatsbildern gestaltete bäuerliche Lebenskunde „Das Bauernjahr", ein bis heute nicht übertroffenes Meisterwerk dichterischer Darstellung bäuerlichen Lebens in Westfalen. Josef Winkler nennt es „eine wirkliche Glorie auf dem Haupte Altwestfalens". Original gewachsene Persönlichkeiten zeichnet er in dem Buch „Lob des Landes". Auf Schwank und Anekdote, Sage und Volksüberlieferung greift er zurück und läßt dabei die Freude am Charakteristischen aufleuchten.
Heinrich Luhmann ist ein westfälischer Dichter, dem trotz aller persönlichen Bescheidenheit manche Ehrung zuteil wurde. Dazu zählt nicht zuletzt die höchste literarische Auszeichnung des Landes, der Westfälische Literaturpreis. Hinzukommen unter anderem das Bundesverdienstkreuz I. Klasse und die Ehrenbürgerwürde seines letzten Wohnortes, der Stadt Hamm und seines Heimatdorfes Hultrop. Wenn er dort auftauchte, dann sprach er selbstverständlich nur platt. In die geliebte Heimaterde wurden auf eigenen Wunsch seine sterblichen Überreste gebettet. Stilvoll ist seine letzte Ruhestätte auf dem Hultroper Friedhof gestaltet, ein aufgeschlagenes Buch als Zier tragend.
Wie er aber das Sauerland liebte und schätzte, das sagt wohl am treffensten folgendes Gedicht aus, das allein viermal vertont wurde. Mit der strahlensten Melodie soll es hier wiedergegeben werden:
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