Fritz-Otto Peters

... allezeit an der Ahse vorbei mit vollem Jägergeschrei...

Wie Soest bei der Schnad 1681 an den Grenzbrücken zum Amt Oestinghausen Präsenz zeigte

Eine protokollierte Schnadjagd, bei der die Soester Administratoren, begleitet von Jägern mit Instrumenten und Hunden, den Freigrafen, den zuständigen zwei Führern (Vorstehern) und aufgebotenen Hausleuten (Bauern) an mehreren aufeinander folgenden Tagen in der Niederbörde ihren Umbzug halten, führte die auf unterschiedlichen Routen ahseaufwärts Ziehenden am Vormittag des 24. September in das Brockhauser Vordorf.

Dabei lag der Akzent auf Schnad (was auch mit schneiden zu tun hat), Jagd umschrieb einen politischen Vorgang. Den Teilnehmerkreis bestimmten obrigkeitliche Interessen. Die Wegverhältnisse trennten die Kommission in die Soester Bürgermeister und Honoratioren, die sich mehrerer Kutschen bedienten, und das einfache Fußvolk, das dem strauchbewachsenen Ahseufer zu folgen, sich gegebenenfalls aufzuteilen und an festgelegten Punkten der Grenze wieder mit den Oberen zusammenzukommen hatte. Bei den gewöhnlich im Abstand von mehreren Dezennien durchgeführten Exkursionen über Stock und Stein war lärmiges und rüdes Auftreten angesagt, während die Soester Herren Distanz wahren konnten, an wichtigen und bequem zu erreichenden Plätzen ihres Amtes walteten und im Übrigen eine angenehme Landpartie mit Speisung genossen. — Vom Poläsen ist damals nicht die Rede, wie denn überhaupt die heute beliebten Schnadwanderungen für jedermann mit der Soester Schnadjagd von 1681 wenig gemein haben. —
Der Bericht ist so differenziert, daß wir uns an dieser Stelle auf die Betrachtung des Abschnitts Oestinghausen — Ostinghausen beschränken wollen.

Inmittelst nun also geschah, continuirten ... zwei Jäger... und bei sich habende Schütten ... Herr Großrichtmann Gördes und Herr Rentschreiber Rademacher mitbegriffen ... für der Oestinghauser Mühlen her ... [über] die rechte Hellwegs Brücke vor Oestinghausen über die Aesse ..., welche die Stadt Soest mit stehen helfen lasset und auf deren Mitte die Soest- und Coelnischen Gefangenen extrudiret werden, worauf itzvorgedachter Jäger in Mitten derselben wiederumb geblasen ... Der alte Stadtjäger Goswin Mütel mit Horn und Hunden stand wie ein Herold im Zentrum des Geschehens. — Die Wartungsleistungen der Brockhauser Hausleute im Vordorf [Herbsthoff und Nachbarn, vor allem aber Brüggenwirth(!)] am Soestwege, der Östinger Brücke und anderen Schems werden im Bördekataster 1685 erwähnt. Das Soester Procedere hatte aber nicht nur einen routinemäßigen, sondern auch einen konkreten juristischen Anlaß.

Der Richter oder Schulze zu Oestinghausen, dessen Name verborgen bleibt, war zur Verantwortung zu ziehen, weil er gegenüber seinem Hause in der Aessen an hiesiger Seiten seinen Fischhamen gesetzt hatte, welcher im Angesicht seiner aufgesogen und auf der Herren Befehl durch den Stadts=Wartmann Johan Rosenäuwer mit auf Sauerlands Hofe genommen worden. - Nolens volens (geladen oder eingeladen) folgte der Übeltäter ebenfalls dorthin.

Mit einer Vorhut aus Jägern begaben sich „die Bürgermeister und übrigen Herren nach dem Varenholze ... und geradezu durch das Dorf Brockhausen nach Sauerlands Hofe zur Aesse". Augenzeugen des Treibens am Gute, von dem der Protokollant anschließend berichtet, wollten die Standespersonen wohl nicht sein. Weitere Jagdleute und mit Rohren bewaffnete Schützen bewegten sich auf dem nördlichen Ufer des Grenzbaches oder zogen an der ebenfalls akustisch reklamierten Widhagensbrücke (bei Lütgenbrockhausen) vorbei und auf dem Brockhauser Mühlenweg zur Mühlenbrücke, worauf Mütel und die Pfeiffer aber eins geblasen ... [vor] des daselbst wohnenden von Kranen zu Brockhausen Platte an der Hausbrücken ... forter... durch gemeltes Kranen Pferdekampf... [und] dessen zu beiden Seiten mit Latten zugemachten Garten.
Diese Mannschaft dürfte dabei ihren Auftrag besonders eifrig erfüllt haben, weil das einfache Volk hier das Anwesen eines Junkers zu inspizieren hatte. - Ambitionierte Agrarökonomen waren die von Krane sicher nicht, daß sie aber gesteigerten Wert auf gepflegte Anlagen und Einfriedungen gelegt haben, läßt sich in den alten Lagerbüchern oder auf den Supraporten von Haus Brockhausen erkennen. -Über den zum Gut Brockhausen gehörigen fahlen Mersch, Bilefeldts Kämpfe (auf Nordwalder Grund) und die Schlüse, bei der das Ahsewasser für die Mühle gestaut wurde, gelangten Jäger, Schütten und andere Dabeigewesene in guter Manier und ohne Streit ebenfalls nach Sauerlandes zur Aessen Hof... wobei die Herren mitgehalten ", und zur gemeinsamen Speisung.

Der Aufenthalt an dieser Stelle war den Beteiligten aus verschiedenen Gründen wichtig. An der Romeningsbrücke bei Sauerlandes Hofe zur Aessen konnten alle Stadtmusiker, Jäger und Hunde wieder „Laut geben".
Gerade   hier   genossen   die   Soester   Prominenten   aber   auch   ihren   Auftritt   als   Gebiets-   oder Hofesbevollmächtigte:
Der grote  Hof tor Orsene  war  im  MA   ein   plettenbergisches   Lehen,   später  aber   aufgrund   der Geschäftstüchtigkeit seiner Vormünder ganz in die Verfügung des Großen Mariengartens gekommen, so daß das Gericht der Stadt die Ansprüche des Drosten Goswin von Kettler zu Hovestadt mit dem Bescheid, das Gut sei ferner von aller Feudalität völlig liberiret und gehöre den Soester Armen, endgültig zurückgewiesen hatte. —

Colonus Wilhelm Sauerland bewirtete die Erschienenen, weil er erbherrschaftlich vom Großen Mariengarten abhängig und zu dieser Dienstleistung verpflichtet war. Der Schulte zur Ahse hoffte aber auch,   daß   Speise   und   Trank   (mehr   als   Eingaben)   die   Ratsherren   und   Väter   der Soester Armeneinrichtung, die selbst auf gute Erträge ihres Hofes aus waren, veranlaßten etwas gegen die Schlüse und die ersessenen alten Staurechte der Ortsadeligen in Haus Brockhausen zu unternehmen. - Der künstlich erhöhte Wasserstand nützte zwar der Mühle, minderte aber die Erträge der Ahsehöfe.

Kehren wir zum Protokoll zurück. Mit von der Partie war doch auch noch der Oestinger Schulte, der als Bauerrrichter behandelt wurde, sich in der Runde der Soester und in seiner Haut aber nicht wohl fühlte. Wahrscheinlich hatte man den Hamen leer aus der Ahse gezogen. Hier ging es aber nicht um irgendeinen Fischdieb, sondern um einen renommierten katholischen Oestinghauser, der seine Reuse und sicher auch seinen Ruf behalten wollte.

Der delikate Grenzverstoß wurde verhandelt in Anwesenheit der Hausleute, die neugierig auf das Ergebnis   waren.   Aus   taktischen   Gründen   verständigten   sich   die   Herren   jedoch   auf   eine prophylaktische Taktik, bei der niemand sein Gesicht verlieren sollte.

So hat man denselben zur Mahlzeit genötigt und ihm endlich auf sein vielfältiges Anhalten ... den vorbedeuteten aufgesogenen Fischhamen wieder ausfolgen lassen...

SUB RESERVATIONE DE NON PRAEJUDICANDO, SED POTIUS SESE IN POSTERUM CAVENDO:

Man habe ihn nicht vorverurteilen wollen. Es geschähe aber unter dem Vorbehalt, daß er dies fortan unterlasse. - Was man vermißt, ist die Versicherung des Ahseanrainers, die geheime Fischerei am Hause einzustellen.
War aber die zurückerstattete Reuse nicht ein Wink mit dem Zaunpfahl, bzw. ein indirekter Freibrief, weiterzuangeln?

Nach geendigter Speisung zogen die Herren von Sauerlands Hofe ... vor Dolphus Hofe her durch den grünen Weg im Weßlarnischen Felde ... vor des Roers und Hilverdings Höfen, welche beide Höfe nach Ostinghausen gehören, an der Aessen her bis bei der Düssen Platz und warteten daselbst der übrigen Ankunft.'' - Diese Route am Rande der Börde würde sich auch für heutige Schnadler empfehlen, da man jederzeit ins Auto steigen kann. - Die Jäger und Schütten aber gingen mit vollem Jägergeschrei unterwärts, [d.h. auf Nordwalder Grund] ... längs der Aessen über Sauerlands Bruch ... und daraus bis an die kleine Landwehr... bis an die "Brücke im Dael, so von der Stadt ganz gemachet wird, weswegen dann die Jäger und Pfeiffer [auch von]Jenseits der Brücken ... sich hören lassen. Diese Landwehr verlief nördlich des Baches und erstreckte sich parallel zum Deilweg nach Westen und Osten. Haus Ahse scheint damals nicht durch Zäune eingefriedet gewesen zu sein. Über einen Graben erreichte man das Wohngebäude. Anders als bei Haus Brockhausen zog man, ohne seine  Anwesenheit zu signalisieren, nur durch Herrn Dolphus Wiese und hinter dessen Hause her, woselbst die Aesse fernblieb klein.

Die Fußgänger, die jetzt leicht über den Bach wechseln konnten, zogen vorbei an den Höfen Humbrechting, Roer und Hilverding zu Trottenborg.
Erwähnt wird,  daß  der   Trottenbrügger für  die  gewissenhafte  Verwahrung  der  Brücke  und  eines Schlagbaums von dieser Stadt sein Jahrgeld bekam. - Von der Brücken [ging es] den breiten Weg hinauf, des von der Düssen Hof vorbei, durch die Pforte am Graben und einen Garten.
An der Haselbecke waren ein Zaun und ein Brückchen zu übersteigen.
Dort erreichten die Jäger wieder die Honoratioren. Danach erfolgte die Rückkehr der Herren mit den Wagen, Schütten, Jägern und aller Suite nach Soest. -

Das Schnadjagdprotokoll ist so detailliert abgefaßt, daß man auch nach über drei Jahrhunderten die Züge und Geschehnisse von 1681 — leichter anhand aktualisierter Karten als in Natur — realisieren kann.
Überraschend ist dabei, daß (anders als die wasserseitigen Grundstücksgrenzen) die Gemarkungstrennungen im Bereich des Landcafes Humbrechting, bei Gut Brockhausen und an der Oestinghauser Mühle mit dem Nordufer der alten Ahse zusammenfallen.

Diese territoriale Festlegung geht möglicherweise auf den ersten Vertrag von Maastricht (April 1449) zurück. Sie hat u.a. bewirkt, daß die Frucht- und Schneidemühle Brockhausen zu den Wassermühlen des Soester Territoriums gehörte, obwohl die nördlichen Gebäude im Cölnischen standen. Wasserrechtlich und fiskalisch entscheidend war, daß die beiden Räder in der Börde und von einem Bördegewässer angetrieben wurden.

Mit der Ahse befassen sich heute außer den Anliegern, Anglern, Jägern und Behörden nur wenige. Aber gerade einem nüchternen Leser könnten die Kuriositäten oder Besonderheiten des unscheinbaren oder unansehnlich gewordenen Baches, der möglicherweise seit Römerzeiten südliche Grenze der Lippezone war, zu denken geben.

Wer von den politischen und sozialen Gegebenheiten des 17. Jahrhunderts ausgeht, versteht, daß die Obrigkeit den Fischfrevel des Oestinghauser Schulten und Richters nicht als Bagatelle oder Kavaliersdelikt, sondern als Übergriff anzusehen hatte: Der Oestinghauser Großkopfete hatte zu respektieren, daß die Grenze zwischen seinem Hof und der Ahse verlief.
Gravierend kam hinzu, daß er seine Reuse in der Börde — nach damaliger Sicht also ausländisch -eingesetzt hatte. Die Herren wollten aber auch keine Beckmesser sein.

Weil man einen bäuerlichen Richter vor sich hatte und schlichte Menschen, die normalerweise nur deutsch verstanden, traf die Kommission ihre Vorentscheidung in juristisch-bewährter Manier. Die Verklausulierung zeigt aber, daß die Soester Territorialherren nicht nur mit ihrem Latein ziemlich am Ende waren.
Ob man sich später diesseits und jenseits der Ahse an die Spielregeln gehalten hat, bleibt eine offene Frage.


Quellen u.a.: Stadtarchiv Soest Bestand A, Nr. 5716 u. Bestand B, LX h 2.
Abgedruckt ähnlich in Heimatkalender des Kreises Soest 2002, S. 69-72.