Margot Koske

Ein Brief von der Schlacht bei Vellinghausen 1761

Trotz seiner langen, wechselvollen Geschichte ist Soest und seine Umgebung nur verhältnismäßig selten Schauplatz bedeutsamer überregionaler Ereignisse gewesen. Eines dieser Ereignisse war die Schlacht bei Vellinghausen am 16./ 17. Juli 1761 während des Siebenjährigen Krieges (1756—1763). Die damals auf deutschem Boden als „Dritter Schlesischer Krieg" Preußens ausgetragenen Auseinandersetzungen waren aber nur der europäisch-kontinentale Teil des zwischen Großbritannien und Frankreich geführten Kolonialkrieges zur See in Amerika und Indien.

Im Verlauf des wechselnden Kriegsgeschehens hatten seit 1757 französische Truppen Westfalen besetzt und hatten versucht, aus dem Lande herauszupressen, was nur möglich war. Seit 1758 hatte Soest fortgesetzt unter Durchzug und Besetzung wechselnder Truppenverbände zu leiden gehabt. Im Juli 1761 hatten sich dann die französischen Heere der Marschälle Broglio und Soubise mit ca. 90 000 Mann im östlichen und nördlichen Kreisgebiet vereinigt und standen der etwa 50 000 Mann starken preußischen Armee unter Prinz Ferdinand von Braunschweig gegenüber, der als Sieger aus der Schlacht hervorging.

In früheren Heften der ..Soester Zeitschrift"1 wurde bereits mehrfach über die Schlacht bei Vellinghausen-Scheidigen aufgrund mehr oder weniger offizieller Berichte bzw. Tagebuchaufzeichnungen Soester Zeitgenossen berichtet.

Durch Vermittlung unseres Vereinsmitgliedes A. Simons v. Bockum-Dolffs erhielten wir jetzt den im folgenden abgedruckten Brief eines jungen französischen Leutnants, der an der Schlacht bei Vellinghausen teilgenommen hat. Uns erschien dieser so persönlich gehaltene Augenzeugenbericht als wertvolle Quelle, zumal die biographischen Daten des erst 14jährigen (!) Leutnants selbst ein Stück Geschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts verdeutlichen: Louis Gaspard Duchesne de Ruville (geb. 4. 6. 1747 in Sedan) war der Sohn des für die Picardie2 zuständigen Kriegskommissars Louis Constant Duchesne de Ruville. Bereits mit zwölf Jahren trat Louis Gaspard als Kornett (Fähnrich) in das Regiment Dauphin ein und nahm an mehreren Schlachten des Siebenjährigen Krieges teil. Nach dem Tode seines Vaters 1773 übernahm er dessen Amt als Kriegskommissar und blieb auch nach Beginn der französischen Revolution 1789 vorerst noch in seinem Amt, weigerte sich dann aber, den Eid auf die neue Verfassung zu leisten. Da Duchesne de Ruville an der Vorbereitung und Sicherung des mißglückten Fluchtversuches des französischen Königspaares Ludwig XVI. und Marie Antoinette beteiligt gewesen war. war er selbst zur Flucht gezwungen. Er trat zuerst in österreichische, später in preußische Militärdienste. Da er Royalist und entschiedener Gegner Napoleons war. lehnte Ruville Angebote ab. die ihn zur Rückkehr nach Frankreich mit Wiedereinsetzung in seine Besitztümer veranlassen sollten. Er geriet dann 1809 zu Beginn des Krieges zwischen Österreich und Frankreich, wiederum in österreichischen Diensten, nach der verlorenen Schlacht bei Wagram in französische Gefangenschaft und verstarb hier an Gelbfieber.

Sein zweiter Sohn (der älteste fiel ebenfalls in österreichischen Diensten) Alexander Constant, im preußischen Kadettenkorps erzogen, blieb in Preußen. Von ihm stammen alle späteren Träger des Namens Ruville ab, die im ersten und zweiten Weltkriege mehrere hohe Offiziere, darunter auch drei Generäle, stellten.

Von einem der Nachfahren des Briefschreibers wurde uns der folgende Brief in deutscher Übersetzung übermittelt.

Brief des Louis Caxpard Duchesne de Ruville an seinen Vater

Oestinghausen, den 18. Juli 1761

Mein lieber Vater!

Ich bedaure, daß ich Ihnen keinen Sieg melden kann und auch nicht in der Lage bin. Ihnen unsere augenblicklichen Aufgaben genau zu erklären.

Am 16. und 17. dieses Monats haben wir das Lager von Erwitte nahe bei Lippstadt verlassen und sind ohne Equipage nach Oestinghausen gekommen.

Man hatte uns eine Suppe gekocht. Der Marschall3 und seine Offiziere hatten sich versammelt und beschlossen, sofort das Dorf Hultrop, das von der Vorhut des Feindes besetzt war, anzugreifen. Dieser hatte seinen linken Flügel in Richtung auf Hamm vorgeschoben, als Antwort drängten wir ihn 5/4 Meilen zurück. Herr de Cossen und Herr de Belsance4 führten unsere Vorhut. Der erste, der bemerkte, daß der Feind stark war, und Widerstand leistete, forderte de Lettre und unser Regiment an. Wir griffen sofort an und zwangen den Feind, einen Wald zu verlassen. Dort verbrachten wir den ganzen Tag und die Nacht in pausenlosem Feuer.

Am 17. griff der Feind im ersten Morgengrauen heftig an und wir antworteten ihm über 6 Stunden lang in gleicher Weise. Seine Stärke zwang aber den Marschall, seine Eroberungen wieder aufzugeben. Der Prinz Soubise hatte nicht angegriffen, wie es vorgesehen war. Nun sind wir nach Oestinghausen, eine Meile von Hultrop entfernt, in Quartier gekommen.

Dieser Tag hat der 2. Abteilung des Marschalls de Broglio viel gekostet. Herr de Rouget und auch Bezunce sind sehr zusammengeschossen worden und haben in ihrem Bereich 6 Fahnen verloren. Herr du Roy hatte schwere Verluste und auch Nassau. Wir selbst haben 200 Mann und 10 Offiziere verloren.

Mir selbst geht es gut. Jean ist ein braver Kerl, er hat mir gerade Essen und Feuer gebracht. Ich bin jetzt Leutnant der Grenadiere. Von 200 Mann sind nur 22 zurückgekommen, alle Offiziere sind tot oder verwundet. Obrie hat zwei Gewehrschüsse in den Arm bekommen. Ich habe mit Herrn de Boufler über ihn gesprochen und ich hoffe, daß er Sergeant wird. Bald werden wir den Feind wieder angreifen und ich glaube, daß es schon morgen sein wird.

Der Korporal, der fröhliches Herz genannt wurde, und der mich im vergangenen Winter ausgebildet hat, ist tot, ebenso der Grenadier de Remillio. Herrn Durfort und Herrn Reilhac geht es gut und sie sagten, daß Ihr ihnen schreiben würdet, wenn die besagte Person sterben würde.

Ich habe mein Bestes getan. Es scheint auch, als ob man mit mir zufrieden wäre, besonders Herr de Boufler hat mir das durch seine Freundlichkeit gezeigt. Gestern habe ich mit ihm gegessen. Heute hat mein Peloton5 gefeuert hinter einer Hecke gegenüber einem englischen Regiment, die Hälfte trug Pistolen. Die Kugeln fielen wie Regen auf uns herab und eine Kugel blieb in meinem Übermantel hängen. Der Herzog verlor seinen Arm.

Meinen Respect für meine Frau Mutter und für meine Schwester, viele Freundlichkeiten an Vater Etienne und Neuigkeiten vom Kleinen. Ich habe die Ehre mit sehr tiefer Ehrfurcht zu sein, mein lieber Vater, Euer gehorsamer Diener

Duchesne de Ruville

Unsere Verluste betrugen 5 000 bis 6 000 Mann.6

 

Anmerkungen

1 Vogeler. E.: Beiträge zur Geschichte von Soest und Börde wahrend des siebenjährigen Krieges.
In: SZ 2 (1882/83) S. 17-50; 9 (1891/92) S. 23-69; 17 (1899/1900)
S. 1-30; 21 (1903/04) S. 30-51.
Deus. Gertrud: Zwei zeitgenössische Berichte über die Schlacht bei Vellinghauscn. In: SZ 74 (1961) S. 68-74.
Schulte-Braucks. Ludwig: Die Schlacht bei Vellinghausen in der englischen Geschichtsschreibung. In: SZ 74 (1961) S. 75-80.

2 Landschaft im Norden Frankreichs. Hauptort Amiens.

3 De Broglio, französischer Oberbefehlshaber.

4 De Cossen. de Belsance. de Lettre. und de Rouget waren Regimentskommandeure.

5 Schützenzug.

6 Außer dem hier abgedruckten Brief existiert im Stadtarchiv Soest ein weiterer Brief
(französisch, mit deutscher Übersetzung) eines Leutnants Rieh. Haly an den Chevatier de Warren. Brigadier in der Armee des Königs, Befehlshaber an der Bretagneküste in Brest, aus dem Feldlager vor Soest am 18. 7. 1761. In ihm sind die Kampfe um Vellinghausen jedoch stärker vom kriegstechnischen Standpunkt beschrieben.