Verstummte Stimmen
Fritz-Otto Peters im Anzeiger zum Tode von Karl Sturm von Kleinsorgen, des letzten Herrn auf Rittergut Brockhausen und Salzbeerbten zu Sassendorf
BROCKHAUSEN Karl Sturm von Kleinsorgen verstarb am vergangenen Sonntag in Steinfurt. Er war der letzte Herr von Gut Brockhausen, dessen Schlossgebäude samt Gräften zum Leidwesen der Denkmalfreunde im Jahre 1970 gnadenlos abgerissen wurde. Der Anzeiger bat Heimatpfleger Fritz-Otto Peters, der den verstorbenen von Kleinsorgen kannte, ihn sogar noch wenige Tage vor seinem Tod gesprochen hat, über den Verstorbenen, über das Rittergut und das Schloss eine Abhandlung zu schreiben. Die Fassung für die Zeitung redigierte Lippetal-Redakteur Michael Dülberg.
Doch nun zur Geschichte, die Fritz- Otto Peters „Verstummte Stimmen Brockhausens" genannt hat.
Im überdachten Eingang des Hauses Hautkapp hängt noch heute eine kloppellose Bronzeglocke mit dem Schlagton cis. Die daruntergesetzte Jahreszahl 1608 erklärt sie zum ältesten in Brockhausen erhaltenen Überrest des vor 1300 an der Ahse entstandenen Adelssitzes, mit dem sich die Namen der Geschlechter de Brochusen, Wulff von Lüdinghausen, von Aldenbreckerfeld, von Esbeck, von Krane und von Kleinsorgen verbinden. Möglicherweise hat diese Glocke wie Karl Sturm von Kleinsorgen andeutete, die Brockhauser Bauern schon in den Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts bei Gefahren gewarnt.
Wer von den Bewohnern Brockhausens erinnert sich noch an Nächte, in denen er nicht einschlafen konnte und die Stundenschläge vom Risalit des nach 1756 erbauten Schlosses über die Blinde Bach und Rosenau herüberklangen?
Verstummt wie die Glocke ist heute auch das Rauschen der Ahse an der seit 1359 erwähnten Mühle und das Konzert der Nachtigallen in den italienischen Pappeln, Linden und Kastanien, denn die Solitärbäume verschwanden um 1970 mit der Verfüllung der Gräften und dem Abbruch des spätbarocken Schlosses.
Auf Fotos erkennt man die Besonderheiten des 28 mal 14 Meter großen Gebäudes, aber auch sein typisches Interieur. Wo hätte es zur gleichen Zeit sonst in Brockhausen eine Bibliothek oder ein Musikzimmer mit Instrumenten gegeben? Umgekehrt hat Hobby-Filmer Kurt Schaumann die Tristesse der Situation um 1965 in einem musikalisch bestimmten Film, in dem eine Tänzerin und ein schwarzer Gitarrist vor dem Kamin des leeren oberen Saales auftreten, eindrucksvoll überliefert. In Brockhausen hat sich, soweit bekannt, niemand über den Abbruch des architektonisch bedeutendsten Gebäudes der Gemarkung beklagt. Die Gemeinde Lippetal hat sich der restaurierten Gemälde des Brockhauser Adelssitzes gern angenommen. Das verschwundene Objekt selbst interessiert dagegen heute scheinbar nicht einmal die Gästeführer.
Gut Brockhausen im Überblick.
Erinnert werden sollte in kurzen Zügen an die in mehreren Generationen ansässig gewesene letzte adelige Familie. Seit Cord Kleinsorge gewinnen die Vertreter dieses lippischen Geschlechts als Patrizier und später als fürstliche oder kirchliche Beauftragte wachsende Bedeutung. Während der Reformation bleibt man dem katholischen Glauben treu. In Lemgo setzen sich die Brüder Dietrich Adolf und Heinrich Balthasar Kleinsorge maßgeblich gegen die Hexenverfolgung ein. Otto Johann Adolf Kleinsorgen wird 1698 von Kaiser Leopold geadelt.
Durch ihre Verdienste und Verschwägerung mit arrivierten einheimischen Familien sind viele von Kleinsorgen erfolgreich. Sie wirken als Ökonomen, Juristen, Beamte und Offiziere. Andere, auch weibliche Vertreter, verwalten Klöster.
Die Kleinsorgens aus Brockhausen:
Maximilian v. Kleinsorgen aus Haus Schüren (1832-1898) heiratet 1863 Auguste v. Krane (1838-1902) Erbin von Haus Brockhausen.
Deren Sohn Adolf v. Kleinsorgen, Herr zu Brockhausen (1867-1953) ehelicht 1909 Charlotte Eickholt (1889-1969) Salzherr zu Sassendorf, Bürgermeister von Herten.
Deren Sohn Karl Sturm von Kleinsorgen, der jetzt verstorbene Herr zu Brockhausen (1910-2002) freit Paula Frelin.von Wendt zu Papenhausen, Ökonom und Mühlenbesitzer zu Brockhausen, Salzherr zu Sassendorf.
Karl Storm von Kleinsorgen
Die Bewirtschaftung des damals fast 120 Hektar großen Betriebs mit Mühle und Molkerei war für den aus dem Krieg heimgekehrten Offizier keine Selbstverständlichkeit, sondern eine beschwerliche Aufgabe. Die von Kleinsorgen haben vor vier Jahrzehnten das „ersessene" Gut Brockhausen mit Wehmut und die Eigenarten des gleichnamigen Ortes mit gemischten Gefühlen hinter sich gelassen.
Sie sind selten dorthin zurückgekehrt. Dabei bestanden vor allem durch die Schützenfeste in der Vergangenheit sehr enge Beziehungen über die Rosenau und den Bruch hinweg. Umgekehrt wurde der Weg nach Münster von den Brockhausern als zu weit empfunden, die von Kleinsorgens des Öfteren zu besuchen. Karl Sturm von Kleinsorgens Stimme hatte Gewicht im Sassendorfer Sälzerkollegium. Jahrelang war der Gutsbesitzer Mitglied des Brockhauser Gemeinderates. Man achtete seine Meinung, duzte sich aber ebenso selbstverständlich. Wie Fritz Schulze-Wietis im Dorf auf den Schulzen keinen Wert legte, so ließ der Herr vom Gut das Adelsattribut weg, wenn er sich am Telefon meldete.
Viele werden sagen: Was geht uns dieser Herr zu Brockhausen an? Vielleicht erinnern sich die ehemaligen Flüchtlinge am ehesten daran, dass er den Grund für die Siedlung im Westen des Dorfes zur Verfügung stellte. Und wo hätte, ohne die Landabgabe von Kleinsorgens, 1960 die neue Brockhauser Schule - der heutige Kindergarten - errichtet werden sollen?
Mit einem Male ist die Stimme des Karl Sturm von Kleinsorgen verstummt. Man erinnert sich an seine natürliche, heitere und ruhige Art. Machte er sich weniger Sorgen, weil er von Adel war? Wohl kaum. Die Wurzel seiner Gelassenheit ist eher in dem beherzigten Wappenspruch der Ahnen zu suchen: CURAS PONE IN DEO (1. Pt. 5,7) (Lege die Sorgen in Gottes Hand). Fritz-Otto Peters Aus: Soester Anzeiger v. 27.07.2002 Fotos: Archiv Peters
Das Familienwappen
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