Die Hagenhöfe in Nordwald

Die ländlichen Siedlungen bis zum Ausgang des Mittelalters
Köttersiedlung und grundherrliche Plangründungen (Hagendörfer)

Hagenhoefe

Es wurde hervorgehoben, daß der Ausbau der ländlichen Siedlungen durch die Altbauernschicht bis um 1200 abgeschlossen war, daß aber schon vorher die Köttersiedlung beginnt, zunächst durch die sog. Erbkötter. Diese Binnenkolonisation als Verdichtung der Siedlungen, randliche Erweiterung der Fluren und Eroberung bis dahin siedlungsarmer Berg- und Hügellandräume, geht im 13. Jahrhunden ungebrochen weiter bis zur Agrar- und Bevölkerungskrise im 14. Jahrhunden. Die Intensität dieses Ausbaus können Zahlen aus dem Ravensbergischen belegen, wo das Verhältnis der Erbenhöfe zu den Erbkotten im Durchschnitt mit 5:4 angegeben wird, d. h. daß durch diese Zusiedlung die Zahl der Hofstätten in den Bauerschaften und Dörfern fast verdoppelt wurde (Riepenhausen S. 100). Zu ähnlichen Zahlen kam Stephan für das südliche Weserbergland (Stephan 1978 S. 145).

Neben diesem Ausbau bestehender Siedlungen, der überwiegend auf bäuerliche Initiative mit grund- oder landesherrlicher Zustimmung zurückgehen dürfte, steht die gelenkte Anlage neuer Plansiedlungen durch die Herren, die uns im nördlichen und östlichen Westfalen in Form der Hagendörfer begegnet. Im typischen Fall vereinigt sich das besondere freiheitliche Hagenrecht mit einer bestimmten Flurform, den Waldhufen. Die Siedlung wird entlang eines Baches bzw. parallelen Weges so angelegt, daß die Hofstätten mit festgelegter gleicher Breite höher als der Bach in der Aue oder an ihrem Rande aufgereiht liegen. Die Breite der Hofstätte gibt die der Hufen, des Ackerlandes, vor, das vom Hof aus in den Wald hineingerodet wird. Unterschiedliche Rodeleistung der Höfe ist an der unterschiedlichen Länge der Hufen nachweisbar, die im ungerodeten Wald enden.

Verbreitet sind diese Hagensiedlungen im Delbrücker Land, im lippischen Osningvorland, vor allem im Detmolder Hügelland und von dort weiter nach Osten sowie im südlichen Weserbergland (u. a. Karte bei Brand 1981 Abb. 12). Dabei ist festzuhalten, daß neben den -hagen- Namen auch solche auf -beck oder -bruch vorkommen, die etwas von der Siedlungslage am Bach bzw. die Rodung von Bruchgelände zu erkennen geben.

Das Alter dieser Siedlungsform in Westfalen ist nur ungefähr zu bestimmen. Auf den schweren und feuchten Boden des Kleimünsterlandes, bes. bei den Baumbergen, sind waldhufenartige Streifenkämpe mit Ansätzen zur Reihung der Höfe beobachtet, die als altbäuerlich angesehen werden (Niemeier 1949). Ähnliche Vorformen ohne Hagerrecht sind im Osnabrücker Land zu finden. „Die Ackerflur eines jeden Gehöftes liegt hinter dem Hof, sei es in Block- oder in Blockstreifenflur“ (Wrede 1956 S. 202).

Ältestes urkundliches Zeugnis für Waldrodung mit Ansiedlung zu Bedingungen, die dem Hagenrecht entsprechen, ist eine Urkunde des Paderborner Bischofs Evergis vom Jahre 1163 über einen Wald bei Herstelle. Sie weist auf die Mitte des 12. Jahrhunderts als Beginn für die Entstehung der westfälischen Hagenorte. In diese frühe Phase dürften die Nordwalder Hagen zurückgehen, da die Häger dort noch zur Klasse der Voll- und Halbmeier gehörten.

Daß diese Art der Siedlung damals einsetzte und voll in das 13. Jahrhundert hinein weiterlief, zeigt die Urkunde, mit der Bischof Bernhard IV. von Paderborn die Rechte des nahe seiner Bischofsstadt von seinem Vorgänger angelegten Dorenhagen 1229 bestätigte. 1237 erteilte er dem Zisterzienserkloster Marienfeld, das seit seiner Gründung 1185 eine reiche Rodetätigkeit entfaltete, die Erlaubnis, den “unfruchtbaren und unnützen Wald . . . Elmenebroc" zu roden, wodurch die Hagensiedlung Ehlenbruch bei Ohrsen in Lippe mit ursprünglich sechs Hufen entstand. In Ehlenbruch und im benachbarten Mackenbruch wurden die Hager später zu den Großköttern gerechnet (Brand 1967 S, 51, 53 f.). In Konkurrenz zum gleichzeitigen intensiven Ausbau der Städte war die Rodungsarbeit für die Siedler dadurch attraktiv gemacht, daß sie die persönliche Freiheit erhielten und als Abgaben nur einen geringen Jahreszins sowie den Sterbfall leisten mußten.

Das Hagenrecht ist, wie einleitend hervorgehoben, nicht an die Form der Waldhufensiedlung gebunden. Im Lippe benachbarten ravensbergischen Osningvorland und auch im Herforder Keupergebiet fehlen die Waldhufen. Dort überwiegen neben einzelnen Hagenweilern Einzelhöfe mit Hagenrecht. Diese auffallende Besonderheit wird so gedeutet, „daß es sich nicht um eine einmalig durchgeführte Kolonistentätigkeit handelte, sondern um eine durch große Grundherren geförderte, langanhaltende, tropfenweise Besiedlung nach Art der gleichzeitigen Erbkottensiedlung in den Dörfern“ (Riepenhausen S. 98).
                                                         Aus: Westf. Geschichte Bd. 1, S.258/259