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Eine neue Römerspur in Westfalen von Prof. A. Schulten, Erlangen
Bisher waren, abgesehen von den auch bei den Germanen umlaufenden Münzen und den als Handelsware oder Beutestücke ins Innere gelangenden Gegenständen an Geschirr aus Metall, Ton, Glas1) die Fundstücke des Lagers Oberaden die östlichste, am weitesten in das freie Germanien reichende Spar der römischen Herrschaft auf deutschem Boden. Jetzt ist 40 km östlich Von Oberaden ein Fund bekannt geworden, der kein den Germanen willkommener und deshalb weit yerschleppbarer Gebrauchsgegenstand ist, sondern ersichtlich durch die römischen Feldzüge hierher gelangte und deshalb ein wichtiges Denkmal derselben darstellt.
Diese neue Römerspur in Westfalen ist ein römischer Bleibarren (Abb. l u. 2), Der Barren wurde im Jahre 1910 in der Bauernschaft Kutmecke, 600 m WNW der Bauernschaft Heppen, etwa 3 km NO von Soest, 7 km südlich der Lippe, auf den Feldern des Landwirtes Kamen beim Ziehen einer Grenzfurche in einer Tiefe von etwa 30 cm gefunden. Der Knecht, der den seltsamen Fund hob, gab ihn dem auf dem benachbarten Grundstück ackernden Knecht des Landwirtes Niggeschulze und dieser schenkte ihn dem um die westfälische Altertumsforschung verdienten und durch seine Untersuchungen über die altgermanischen Feldmaasse bekannten Geh. Medizinalrat Dr. Dörrenberg in Soest, wo ich im April 1917 den Barren sah und als römisch erkannte.
Der Barren ist zweimal gestempelt.
Aus den Formen der Buchstaben, besonders aus der gleichen Länge der Hasten des F und E, der langen Querhasta des L, und vor allem aus der altertümlichen viereckigen Form der Interpunktion auf der kleineren Inschrift scheint sich zu ergeben, dass der Barren aus der ersten Kaiserzeit stammt, also aus der Zeit der grossen Germanenkriege unter Augustus und Tiberius. Man wird ihn auch deshalb nicht für Handelsware, sondern für ein Stück Kriegsmaterial halten. "Zwar kommen Metallbarren im Inneren Germaniens vor, aber das sind kleine, leichte Stücke und sie bestehen aus Silber. Bleibarren dagegen dürften die damaligen Germanen kaum verwendet haben. Aus diesem Grunde ist auch nicht an ein Beutestück zu denken. Vielmehr wird das Blei von einem römischen Transport herstammen und sei es liegen gelassen, sei es auf dem Transport, etwa bei einem Überfalle, verloren worden sein. Die römischen Heere bedurften des Bleies besonders zur Herstellung der bleiernen Schleuderkugeln, der glandes, die denn auch in den Lagern an der Lippe gefunden worden sind.
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Abb. 3
Da der Fundort von der Lippe und der an ihr entlang führenden Etappenstrasse 7 km entfernt ist, würde jener Transport nicht auf der Lippestrasse, sondern auf einer der nordsüdlichen Seitenstrassen ins Innere stattgefunden haben, wie sie durch das Lager Kneblinghansen bezeugt sind. Etwa 1200 m westlich des Fundortes läuft eine alte von Soest nach Hansel an der Lippe, wo ein altes Erdwerk von oblonger Form liegt, führende Strasse.
Mancherlei empfiehlt es, den Barren ferner mit einem der die Lippestrasse sichernden Lager oder Kastelle in Zusammenhang zu bringen und ein solches für den Bestimmungsort des Bleibarrens und des Transportes, zu dem er gehört haben dürfte, zu halten (Abb. 3). Der Fundort liegt nämlich gerade südlich der Gegend, in der man eines und zwar das dritte - vom Rhein ab gerechnet - dieser Lager ansetzen muss. Der erste Etappenplatz an der Lippe ist Haltern, der zweite Oberaden, der vierte das castellum ad caput Lupiae fluminis, das also in der Gegend von Paderborn, wahrscheinlich bei Neuhaus am Zusammenfluss von Lippe und Alme, zu suchen ist. Da man nun vom Rheine bis Haltern 40, von Haltern bis Oberaden 35, von Oberaden bis Neuhaus die doppelte Distanz, 80 km, misst, ist augenscheinlich in der Mitte zwischen Oberaden und Neuhaus, in der Gegend von Herzfeld (N. von Soest) ein drittes Lager anzusetzen, das dann von beiden Orten um die durch die westlichen Lager gegebene Distanz von 40 km, entfernt war. Diese Distanz von 35 bis 40 km entspricht zwei römischen Tagemärschen and begegnet neben der Distanz eines Tagemarsches, 20 km, auch auf anderen Heerstrassen des Reiches.
Durch diese Beziehung zur Lippestrasse und ihren Lagern gewinnt der Bleibarren TOB Soest eine besondere Bedeutung. Vielleicht auf das dritte Lippelager hindeutend, gibt er Veranlassung, sich mit den Lagern an der Lippe, dem topographischen Fundament der Germanenkriege unter Augustus und Tiberius, zu beschäftigen. Aus dem Abstände der drei anderen, völlig gesicherten Lagerplätze (Haltern, Oberaden, castellum ad caput Lupiae) ergab sieh die Existenz eines vierten Lagers. Die Lippestrasse war also mit vier je 35-40 km voneinander entfernten Etappenplätzen oder Lagern belegt.
Diese vier Lippelager sind denn auch noch anderweitig bezeugt. So sehr auch für die meisten seiner Ortslagen im Inneren von Germania jede Identifikation versagt und die Namen recht eigentlich in der Luft schweben, so sicher gibt es doch zwei Ausnahmen. Wie schon Ch. Müller erkannt hat, bilden östlich von Vetera vier aufeinander folgende Namen: die Orte Bogadion, Stereontion, Pheugaron, Lupia, eine ziemlich gerade Linie und eine Gruppe. Kein Zweifel, Ptolemaios verzeichnet hier die vier Kastelle an der Lippe. Diese wird durch den Anfangs- und Endpunkt: Vetera und Lupia deutlich bezeichnet.
Das östlichste Kastell, Lupia, muss dem ad caput Lupiae fluminis von Tiberius im Jahre 4 v. Ch. erbauten Winterlager entsprechen, das man doch wohl mit dem 11 v. Ch. von Drusus am Zusammenflusse von Lippe und Elison angelegten und nach mehreren Zeugnissen in der Nähe des Teutoburger Waldes gelegenen Aliso identifizieren muss. Dass Aliso an der oberen Lippe lag and das östlichste Kastell der Lippestrasse war, geht aus folgenden Zeugnissen hervor: 1. Aliso lag an der Lippe, denn es ist sicher nach dem Elison benannt, der bei Aliso in die Lippe mündete. 2. Aliso lag dem Teutoburger Walde zunächst, also an der oberen Lippe, denn die aus der Varusschlacht Entkommenen flüchten nach Aliso. 3. bezeichnet in der Stelle Tac. ann. 2,7: cuncta inter castellum Alisonem ac Rhenum novis limitibus aggeribusque permunita offenbar wie der Rhein das westliche, so Aliso das östliche Ende der Lippestrasse. Es wäre doch unverständlich, wenn Germanicus nicht die ganze Strasse erneuert hätte! 4. geht aus den wiederholten Angriffen der Cherusker auf A. (Tacit. ann. 2, 7; Die 56, 22,2) hervor, dass A. den Cheruskern zunächst lag, also das östlichste Lager war.
Das 2. Kastell, Pheugaron, wäre das nördlich von Soest und dem Fundorte unseres Barrens bei Herzfeld vorauszusetzende. Zu dem Namen fehlen Analogien. Das 3.Kastell, Stereontion, muss Oberaden sein. Der Stamm Ster- hat eine Parallele in den Namen Segu-stero und Epo-stero-vidus, die Endung in Segontia, Visontium, Alisontium u. a..
Das 4. Kastell, Bogadion, müsste der Lage nach Haltern sein. Das dem so ist, lässt sich beweisen. Der Name Bogadion, kehrt wieder im fernen Asien in Bogadia, einer Stadt von Areia. Bogadion ist also der Ort des Engpasses. Ein solcher ist in der Tat bei Haltern und an der ganzen Lippe nur bei Haltern vorhanden: davon den Bergen -Hohe Mark" im Norden und -Hardt" im Süden gebildete, die -westliche Porta Westphalica". Damit ist bewiesen, dass Bogadion Haltern ist und zugleich, dass Haltern nicht Aliso ist, sondern dass Aliso weiter oberhalb lag.
Betrachtet man die Distanzen der vier Lippelager bei Ptol., so kommt nur die zwischen Stereontion-Bogadion (Oberaden-Haltern), 45 km, der Wirklichkeit nahe. Dagegen ist das Intervall zwischen Stereontion-Pheugaron, 100km, und Aliso-Phengaron, 110 km, viel zu gross. Augenscheinlich liegt dies daran, dass der Lippelauf zu lang gezeichnet ist, statt 160 km 400 km. Ein ähnlicher Fehler begegnet bei Strabon (p. 292), der die Distanz zwischen Rhein und Elbe auf 550 km (3000 Stadien) angibt, während es nur 300 km sind. Beide Fehler stammen wohl aus derselben Quelle, aus militärischen Berichten über die Feldzüge unter Augustus und Tiberius, in denen die Zahl der Marschtage, nicht dagegen die Länge jedes Marsches angegeben war. Wenn dann die bei der Schwierigkeit des Geländes sehr grosse Zahl der Marschtage mit dem normalen Marschmass multipliziert wurde, - während mit kleineren Maassen zu rechnen gewesen wäre - so kam eine viel zu grosse Länge heraus.
Wenn man überhaupt versuchen will, den Geist des Varns zu beschwören und sein Schlachtfeld zu finden, so kann das methodisch nur auf dem Wege geschehen, dass man zuerst diese beiden Lager: das Sommerlager an der Weser und das vierte Lippelager sucht.
Ausser den Lippe- und Weserlagern nehmen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch die drei ihnen benachbarten Ortslagen Munition, Kandnon, Tropaea Drusi.
Munition steht in dem Winkel zwischen Ems und Lippe, nördlich der Mitte zwischen Stereontion und Pheugaron. M. wäre also in die Gegend von Wiedenbrück zu setzen. Wahrscheinlich ist aber Munition nichts anderes als das Appellativ munitio und wie Siatutanda eine Phantasie des Ptolemaios.
Der Ort Kanduon liegt 40 km südlich von Phengaron, also südlich des bei Herzfeld zu vermutenden dritten Lagers. Das passt ziemlich auf das Lager bei Kneblinghausen, welches 25 km südlich von Lippstadt liegt. Es hat sieh also auf der bisher so wenig geachteten Karte des Ptolemaios eine ganze Reihe römischer Lager aus der Zeit der Germanenkriege unter Augnstas und Tiberius feststellen lassen. Wahrscheinlich nennt die Karte alle Lager, die damals erbaut worden sind. In jedem Falle ist uns auf der Karte des Ptolemaios eine unschätzbare topographische Urkunde der Germanenkriege erhalten. Sie muss fortan die Grundlage für jede methodische Erforschung jener ewig denkwürdigen Feldzüge bilden.
Abb. 4.
Nachdem die Existenz von vier Lippe- und vier Weserlagern festgestellt ist, gut es sie aufzusuchen. Wir wissen durch Haltern und Oberaden, wie die Lager der augusteischen Zeit aussähet und die noch zu suchenden Lager müssen ebensogut bedeutende Reste hinterlassen haben, wie die gefundenen. Das auch Aliso aus Erde und Holz gebaut war, versteht sich von selbst, ist aber auch bezeugt durch Frontin 4, 7, 8: veritus, ne barbari ligna vallo admoverent et castra incenderent.
Zunächst ist das vierte Lippelager (Aliso) zu suchen. Es lag ad caput Lupiae, also in der Gegend von Paderborn, bis wohin die Lippe schiffbar war und für den Verkehr das caput fluiminis et viae war. Wahrscheinlich lag Aliso bei Neubau s, wo der Zusammenfluss von Lippe, Alme, Pader einen hervorragenden, ja an der ganzen Lippe einzigen Punkt bezeichnet.
Auf drei Seiten (N. W. 0.) von Lippe, Alme, Pader umflossen, ist der Ort in seltener Weise natura loci geschützt, wie kein anderer an der Lippe (s. Abb, 4). Dazu passt, dass Aliso nach der Varusschlacht von einer ganz schwachen Besatzung verteidigt und von den Germanen nicht genommen werden kann. Das war nur hier, nicht in Haltern, nicht in Oberaden möglich. Mit einer Länge von 700 m, einer Breite von 300 m, einer Fläche von zirka 20 ha - soviel wie das “Grosse Lager" von Haltern - bot der Platz Raum genug für zwei und mehr Legionen.
Der Zusammenfluss von Lippe und Alme war ferner ein wichtiger strategischer Punkt, da hier die durch Lager Kneblinghausen bezeugte Almestrasse in die Lippestrasse mündete. Eine gerade auf Neuhaus zielende alte Strasse ist auf der Karte zu sehen. Sie scheint römisch zu sein.
Auf dem von dieser Strasse durchschnittenen Plateau des Rimekerfeldes, S. von Neuhaus, sind am Almeufer augusteische Urnen gefunden worden (im Paderborner Museum). Auch wird Arbalo, wo die Germanen den Drusus in einem Engpasse überfielen und von wo aus Drusus nach Aliso zog, am besten im Tale der Alme gesucht, weil hier ein Engpass (N. von Büren) vorhanden ist und die Ortsnamen Erpernburg und Arpesfelde zu Arbalo passen. Weiter.
Die mittelalterlichen Stressen von Köln und von Mainz-Frankfurt mündeten und vereinigten sich nicht bei Paderborn, sondern bei Neuhaus. Dieses muss also ein sehr alter und hervorragender Platz gewesen sein und die beiden Strassen entsprechen die eine der Strasse Vetera-Aliso, die andere der von Mogontiacum durch Hessen und das Sauerland laufenden und zuletzt die Alme hinab geführten Strasse.
Ist Lager 4 gefunden, so muss Lager 3 zwischen ihm und Lager 2 (Oberaden) gesucht werden. Vorläufig kommt für das 3. Lager am meisten die Gegend von Herzfeld, in der Mitte zwischen Neubaus und Oberaden, in Betracht.
Hier, beim Hof Hunsel (2,5 km W. von Herzfeld), weist das Lippeufer allerhand merkwürdige Erscheinungen auf - alte Wälle und allem Anschein künstliche Veränderungen des Flussbettes - und dieser Platz liegt genau in der Mitte zwischen Lager Oberaden und Neuhaus, von beiden 40 km entfernt, so viel wie Haltern vom Rhein.
Es muss gelingen die beiden noch fehlenden Lagerplätze zu finden, vor allem den vierten, Aliso. Man muss zuerst den Lauf der römischen Lippestrasse, die durch die Operationen, die drei sicher bezeugten Lager und die Überlieferung gesichert ist, feststellen, dann an den allein in betracht kommenden Stellen, wo die Strasse die Lippe berührt, nach Spuren der Lagerwälle, wie sie ja bei Haltern und Oberaden vorhanden waren, suchen.
Aus: Bonner Jahrbücher, Heft 124/1917 (Auszüge)
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