Geschichte und Mythologie Merk-Würdigkeiten zwischen Lippe und Luerwald I von F. O. Peters (Auszüge)
Die Plackerei der Arbeitsdienstler an der Lippe war nebenbei der Spatenforschung dienlich. So wurde damals bei Hultrop auch ein kleines römisches Tongefäß gefunden, das sich heute im Schwerter Ruhrtal-Museum befindet. Lippetal hat kein Museum.
Lippe - als Flußname - läßt sich auf eine indogermanische Wurzel zurückführen. In schriftlicher Form liegen die Varianten L(0)UP(PI)A und LIP(PI)A vor. Das griechische Verb λυπεω bedeutet (be)trüben, beunruhigen, bedrängen, belästigen, sich unwohl fühlen; das Adjektiv λιπαρής reichlich spendend oder fließend, beharrlich, ein anderes, λιπαρος fettflüssig, glänzend-schimmernd, reichlich, munter, aber auch behäbig. Das lateinische Lehnwort LIPPERUS drückt ebenfalls die Viskosität aus; übertragen auf menschliche Befindlichkeiten aber auch Triefäugigkeit und Melancholie. - Der antike Geograph Strabo (63 v. Chr.- 20 n. Chr.) bezeugt, daß der Fluß Loupia durch das Land der äußersten der Brukterer fließt: (...) - Die Römer sollen sogar ein Kriegsschiff den Fluß hinauf gebracht haben. Eine Trireme konnte aber kaum auf der Lippe manövrieren. - Plinus (+ 79 n. Chr.) beschreibt in seiner NATURALIS HISTORIA Flußeinbäume oder Fähren, mit denen zugleich 30 Mann befördert werden konnten.
Vor allem die Landhagenzüge fallen auf. Auch wenn sie nur teilweise den Römern oder Germanen zugeordnet werden können und meist in späteren Jahrhunderten entstanden sein dürften, bezeugen sie ursprüngliche Grenzen, die bei der weltlichen und kirchlichen Landesorganisation Leitlinien geblieben sind. Östlich Schoneberg stießen die Altkreise Lippstadt und Soest aneinander. Einen Steinwurf weiter - im Südholz - soll zu augustäischen Zeiten eine Wallanlage bestanden haben, die von der Lippe bis zur Ahse (bei Haus Düsse) führte. Dieser Zug läßt sich über die Hellwegebene und die Haar hinweg als Trennung von Kirchspielen und Marken bis Hirschberg weiterverfolgen, - allerdings leichter auf Karten und Luftbildern als im Gelände, denn nur in Gehölzen sind die Merkmale noch nicht eingeebnet. In aktuellen Situationsfotos sind die Überbleibsel kaum zu veranschaulichen.
Der Archäologe Karl Weerth, dessen Vater Otto W. sich als einheimischer Amateur schon 1911 mit der Schoneberger Landwehr befaßt hatte, gründet seine Annahme, daß es sich im Norden um eine frühgeschichtliche meridianale Anlage handelt, auf Angaben Caesars in DE BELLO GALLICO, 11.17, und auf Vergleiche mit einer als römisch eingeordneten bei Werne (Westfälische Landwehren. In: Westf. Forschungen, Bd.1, Münster 1938. S. 158 ff.)
Eine bronzene Nadel mit rechteckigen Vorsprüngen, die der ortsvertraute Landwirt Junker als Junge in der Schoneberger LW gefunden hat, könnte vielleicht helfen, das Alter der Anlage zu bestimmen. Sie war aber keine Nähnadel, wie der Faden auf dem Bilde suggeriert. Aus der Form der Bohrung läßt sich schließen, daß sie Bestandteil einer (verlorenen) Fibel war. Die Nadel ist den Denkmalbehörden unbekannt und deshalb auch nicht als römisches oder germanisches Erzeugnis deklariert worden. Ein Vergleichstück gibt es jetzt aus Kalkriese.
Erwähnenswerter in unserm Zusammenhang ist das benachbarte Gut Honsel/Hunsel, das bereits in den Werdener Urbaren (um 900) als HOONSELIA belegt ist. Die Identität mit dem fast gleichnamigen Hof HOHUNSILE IN PAGO WESTFALON, der 1023 an die Paderborner Kirche kommt (Seibertz), ist nicht sicher. Nachweislich ist aber Abdinghof Lehnsherr des später von den Assener Ortsadeligen erworbenen Hofes an der Lippe. Auch das Kartenbild legt eine Verlagerung des Flusses, der die Grenze zwischen dem nördlichen Dreingau (und dem Bistum Münster) und dem Engerngau (Erzbistum Paderborn) bildete, nahe, die die schwankende Zugehörigkeit von Honsei klären könnte: Heute steht der Hof auf dem nördlichen Lippeufer, während man ihn gemäß der Flurnamen auf der anderen Seite (Hunselkamp, Hunerland) in der Bauerschaft Niederbauer suchen möchte. Dort liegt auch das Kölner Tafelgut Hundorp (Hinweis Gerd Oeding).
Schoppmann nimmt in diesem Bereich eine Furt im Zusammenhang eines "alten Weges" an. Im Blick nach Norden bezeichnet Schackmann 1920 in Bd. 78 der Westfälischen Zeitschrift eine frühgeschichtliche "Steinstraße im Hunolt", die Nordhoff und Westhoff bereits in WZ Bd. 53 als römische Militärstraße an der Lippe identifiziert hatten.
In der "ptolemäischen Karte" gibt es nun eine Vierergruppe von Orten, die mit unterschiedlicher Argumentation in Nordwestdeutschland angesiedelt wurden: BOGADION - STEREONTION - PHEUGARON - LUPIA. Christian Müller (1754) ordnet sie östlich von Castra Vetera ein. Schulten (1917) lokalisiert aufgrund der Itinerinarien-Therorie und der Abstände (ca. 45 km) der damals bekannten Römerlager PHEUGARON bei Hunsel oder im Bereich von Kessler. Ortmann stellt die Orte in die Systematik der alten Verkehrsadern, kommt aber, ohne sich auf Namen festzulegen, hinsichtlich des Lippeübergangs zwischen Lippborg und Herzfeld zu ähnlichen Ergebnissen.
Aus dem griechischen pheugein ließe sich PHEUGARON als "Zufluchtsstätte" erklären. Die germanische Entsprechung wäre GLIUNI, das hinter Lünen stehen könnte - vgl. dazu die tautologische Ableitung von Lüneburg aus GLIUNI-Burg (Ortmann, Bahlow).
Möglicherweise stand die Befestigung, auf die sich der ON Lippborg beziehen könnte, als fränkischer Donjon auf einer von der Lippe umflossenen Erhebung. Entsprechend ist angenommen worden, daß sich hinter Hoonsilia INSULA verbirgt. Die bereichstypische Endung -ele einiger hiesiger Hofesgruppen und Bauerschaften (Assinsele, Poppinsele) läßt sich auch anders deuten. SALA ist eine keltische Sumpf-Bezeichnung (Bahlow).
Ob die hier an den Geländeformen erkennbare künstliche Verlegung oder Begradigung des Laufes in römischer Zeit erfolgte, soll außer Betracht bleiben. Für die frühe Verkehrsbedeutung des Ortes am Kreuzungspunktes des Flusses (bzw. der ihn flankierenden Straßen) mit der alten Nord-Süd-Verbindung, die uns südöstlich Oestinghausen wiederbegegnet, spricht aber ein in römischer Technik geschäfteter Anleger oder Brückenpfahl (Schulten), der sich heute im Burghofmuseum Soest befindet.
Der Brückenpfahl von Kessler. Montage der 4 Ansichten (Burghofmuseum).
Der augustäische Bleibarren, ausgepflügt am Salzweg bei Kutmecke, seit 1911 im Burghofmuseum. Montage von zwei Ansichten.
Durch bodenchemische Einwirkung hat das Blei an der Oberfläche ein gelbliches Aussehen erhalten. - Der Barren ist ein produkttypischer Pyramidenstumpf mit einer ursprünglichen Kantenlange von etwa 130, bzw. 75 mm. Der erhaltene Abschnitt wiegt 13 kg. Er war das einzige bekannte Objekt seiner Art im rechtsrheinischen Germanien. Der Gußstempel überliefert den Fabrikanten in römischen Kapitalien: L(UCIUS) FL(AVUS) VETUS.
Ein schlankerer römischer Bleibarren wurde bei Mechernich gefunden. Er trägt den Stempel der XVI. Legion, die um 50 n. Chr. westlich des Rheins stationiert war. Das Stück wird im Rheinischen Landesmuseum Bonn aufbewahrt.
Das heutige Welver-Fahnen ist ein unauffälliger Ort westlich des Soestbachs. Ihn mit dem Spaten aufzusuchen, hat wenig Sinn. Ein durch das Holz bestimmtes Germanen-Heiligtum, dessen Spuren vor fast 2000 Jahren systematisch getilgt worden sind, ist nicht vorhanden.
Der Wald von Fahnen oder das TAMFANA, von dem der römische Geschichtsschreiber Cornelius Tacitus noch im ersten Jahrhundert n. Chr. "ohne Fremdenfeindlichkeit" berichtet, ist nach v. Steinen, v. Essellen, Orthband u.a. hier zu suchen. Widerlegt worden ist diese Lokalisierung nicht. Historisches Faktum ist die Zerstörung von TAMFANA im Jahre 14 n. Chr. durch die Truppen des Germanicus, der auf diese Weise die Schmach des Varus rächen sollten.
Der Überfall geschah während eines natur-religiösen Festes. Von einem Widerstand der Feiernden ist nicht die Rede. Das strategische oder ideologische Konzept der Römer ging aber auf. Die Marsen waren dezimiert. Der westgermanische Stammesverband zerbrach, weil das gemeinsame Kultzentrum nicht mehr bestand. - Völkergeschichtlich betrachtet war die Zäsur von Tamfana ein folgenschweres Ereignis in einem Jahrhunderte währenden "Kulturkampf, dem germanische Tradition, Kreativität und Identität zum Opfer fielen. Auch der Zusammenbruch des sächsischen Widerstandes ist mehr auf den Verlust der Irminsul als den der Eresburg (722) zurückgeführt worden.
Die Römer rekrutierten ihre Truppen aus den befriedeten Stämmen, deren Reste in fremden Gegenden lebten mußten. Die Exulanten suchten aber wenigstens ihre Götter mitzunehmen. - So hat man später auch die Inschrifttafel eines TANFANA-Heiligtums in der Gegend von Neapel gefunden (Grimm, Deutsche Mythologie).
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