Hovestadt am Ausgang des Mittelalters
Strategischmilitärisch gesehen, war Hovestadt für den Kölner Erzbischof durch den Abfall von Soest noch wertvoller geworden; die Burgbesatzung wurde deshalb weiter verstärkt. In den nächsten 100 Jahren ereigneten sich jedoch keine bemerkenswerten kriegerischen Handlungen, während deren die Hovestädter Burgmänner eine Bewährungsprobe hätten zeigen können.
Wie die Geschichte der folgenden Jahrhunderte zeigt, waren nunmehr überhaupt die Zeiten vorbei, in denen die Burgbesatzung allein oder mit anderen soldatischen Verbänden kriegerische Unternehmen größeren Umfanges durchführte. Die Schlossherrn und die Einwohner von Soest waren tatsächlich ganz der Gnade oder Willkür der Truppen ausgesetzt, die jeweils durchzogen. Es hat den Anschein, als ob die Schlossherrn stets bemüht waren, neutral zu bleiben, und dass sie durch gastliche Aufnahme der Anführer aller streitenden Parteien das Schlimmste von sich und ihrer Nachbarschaft abzuwenden versuchten.
In dem sogenannten Kölnischen Krieg (1582 bis 1584), in dem sich der zum Protestantismus übergetretene Kölner Erzbischof Gebhardt Truchsess von Waldburg und der für ihn eingesetzte Gegenbischof Ernst von Bayern befehdeten, zeigte sich der katholische Schlossherr Goswin von Kettler dem mit dem päpstlichen Bann belegten Truchsess gegenüber recht wohl geneigt. Bei den anschließenden Kämpfen zwischen den ins Land hereingerufenen katholischen Spaniern und protestantischen Niederländern soll sich derselbe Droste von Hovestadt wiederum sehr katholikenfreundlich gezeigt haben. Denn die Soester, welche 1591 unter einem Einfall spanischer Truppen stark zu leiden hatten, schoben hierfür den Hovestädtern die Schuld zu, weil diese entgegen ihrem Versprechen, den Spaniern beim Lippeübergang entgegenzutreten, keinen ernsthaften Widerstand geleistet hätten.
Weiterhin wird berichtet, dass im Jahre 1599, als braunschweigische Truppen Hovestadt berührten, ihr Führer Graf Hohenlohe vom Drosten "sehr wohl traktiert" worden wäre. Auf diese Weise mag es gelungen sein, während jener Jahrzehnte des Raubens und Mordens manchen Schaden verhütet zu haben.
Hovestadt im dreißigjährigen Krieg Im dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) hatten es die Hovestädter der Neutralität ihres Erzbischofs zu verdanken, dass sie von den Kämpfen zunächst nichts zu spüren bekamen. Umsomehr hatten sie in den späteren Kriegsjahren von 1633 bis 1642 unter Plünderungen und vor allem drückenden Abgaben zu leiden. Dazu kamen die verheerenden Auswirkungen der Pestepidemie im Jahre 1635. Unter den Heeresverbänden, die durchzogen, waren die Hessen die gefürchtetsten; vor ihrem zweiten Einfall im Jahre 1642 brachten die Einwohner aus der dem Schloss vorgelagerten Dorfsiedlung "Neustadt" und aus den umliegenden Gemeinden darunter auch Nordwald ihr Vieh im Burgbereich in Sicherheit.
Hovestadt an der Poststrasse Berlin - Wesel Nach 30 Jahren Krieg, der mit dem westfälischen Frieden 1648 zu Münster abgeschlossen wurde, folgten 30 Jahre Frieden. Innerhalb dieser Zeit von 1650 bis 1660 baute der Große Kurfürst FriedrichWilhelm von Brandenburg eine Poststrasse von der Hauptstadt Berlin bis zu seiner Stadt Wesel an der Lippemündung; die Strasse wurde mit Genehmigung des Kölner Erzbischofs über Hovestadt verlegt.
Hierdurch erhielt der Ort neuen wirtschaftlichen Auftrieb. Andererseits brachte es die Lage an diesem wichtigen Verkehrsweg mit sich, dass Hovestadt mit den kriegerischen Geschehnissen der nun folgenden 100 Jahre In engste Berührung kam. Ebenso wie schon zur Römerzeit wurde Hovestadt zum Durchmarschgebiet der nach Westen zum Rhein oder nach Osten zur Weser ziehenden Truppen.
Deshalb rissen die Klagen der Hovestädter über die drückenden Einquartierungen, über die Wegnahme der Feldfrucht und Heuernten, über Fouragelieferungen und sonstige Leistungen an die durchmarschierenden Soldaten nicht ab; auch die Ausbreitung von Viehseuchen z.B. im Jahre 1757 wurde durch sie begünstigt.
Im holländischen (1672 bis 1679) und im pfälzischen (1680 bis 1697) Krieg, die der französische König Ludwig XIV entfacht hatte, wie auch im spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 1713), in den ganz Mittel und Westeuropa verwickelt wurden, waren es die preußischen Truppen, welche das Lippeland als Durchmarschgebiet nach dem Rhein benutzten.
Im siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) dagegen zogen in ständigem Wechsel, je nach dem Stand der Kriegshandlungen, französische oder die mit dem Preußenkönig Friedrich dem Großen verbündeten Heeresverbände durch.
Es war dabei in allen Kriegen unerheblich, ob die Besatzungstruppen einer dem kölnischen Landesherrn feindlichen Macht, wie z.B. die Preußen zur Zeit Ludwigs XIV, oder einem mit dem Kölner Erzbischof sympathisierenden Land wie Frankreich angehörten. Die Belange der Bevölkerung wurden von allen in gleicher Weise missachtet. Mochte die Aufnahme, welche französische Offiziere im Schloss Hovestadt fanden, auch noch so gastlich sein, eine spürbare Entlastung vermochten solche Freundlichkeiten nicht zu bringen. Auch die ständigen Eingaben und Beschwerden der Drosten und Amtmänner bei den höheren Kommando und Regierungsstellen fanden keinen ausreichenden Widerhall.
Während des siebenjährigen Krieges befanden sich unter den im Jahre 1760 durchmarschierenden Abteilungen "einige englische Corps". Diese machten auch auf der Hovestadt ihrem Namen als berüchtigte Spitzbuben alle Ehre; denn am 6. Oktober des Jahres überfielen sie das Schloss und raubten und plünderten daselbst" (nach der Chronik).
Im Jahre 1761 war die unter alten Linden stehende AnnaKapelle in Nordwald der Ort einer geschichtlichen Begebenheit. Denn hier übernachtete am 16./17. Juli der französische Heerführer Marschall Broglie auf seinem Rückzug von dem 10 km entfernten Vellinghausen, wo er eine entscheidende Niederlage durch die Verbündeten der Preußen erlitten hatte; einige Tage zuvor war er in Hovestadt noch glänzend bewirtet worden.
Hovestadt unter Napoleon I In den 40 Jahren des Friedens, welche dem siebenjährigen Kriege folgten, hatte Hovestadt Zeit, sich wirtschaftlich zu erholen. Unruhe brachte erst wieder der französische Kaiser Napoleon I. Im Jahre 1803 war den von ihm alle kirchlichen Landesherrschaften, somit auch die des Kölner Erzbischofs, beseitigt; hierdurch rissen die über 700 Jahre bestehenden landesherrlichen Beziehungen von Hovestadt zum Erzbistum Köln ab.
Das Land zwischen Ahse und Lippe fiel dem mit Napoleon befreundeten Landgrafen und späteren Großherzog von HessenDarmstadt zu, um vom 8. Juli 1816 an nach der Niederschlagung Napoleons in den Verband Preußens einzutreten. In der napoleonischen Zeit sah Hovestadt wiederum viel Soldatenvolk durchmarschieren, 1806 die befreundete französische Nordarmee nach ihrem Sieg über die Preußen und 1813 die zurückflutenden Franzosen und das ihnen nachstoßende Heer der Befreier.
Während noch Anfang 1813 Napoleons Siege mit Tedeum in Hovestadts Kirche gefeiert werden mussten weil der Landesfürst so befahl, wurden ein halbes Jahr später die siegreichen Preußen und ihre Verbündeten umsomehr umjubelt; in jenen Tagen blieb der Tisch im gastlichen Schloss Hovestadt für die Befreier ständig gedeckt. Von den Kosaken heißt es, dass "sie mit besonderer Vorliebe die Talglichter aufaßen, die man ihnen auf ihre Zimmer stellte".
Diese Ereignisse von 1813 bildeten das letzte kriegerische Geschehen in Hovestadt vor der Besetzung durch amerikanische Truppen im Jahre 1945.
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