Es ist bemerkenswert, dass der Hirsch als Begleiter der heiligen Ida von Herzfeld nicht in der Heiligenlegende des Dionysisus von Luxemburg bzw. des Laurentius von Surius auftaucht. Das erste Bildnis der hl. Ida mit dem Hirsch wurde als Schlußstein in das Gewölbefeld der von Pfarrer Heinrich Ostmöllen (1501-1528) erweiterten Kirchenschiffes.
Pfarrer Josef Herold hat den Schlußstein von 1506 noch an dem ursprünglichen Ort in der 1900 abgerissenen romanischen Pfarrkirche von Herzfeld gesehen und den Schlußstein in seinem "IDA=BUCH" von 1925 beschrieben: "Einen herrlichen Kopf der Witwe Ida, umhüllt vom faltenreichen Schleier, und aus dem tief religiösen Antlitz schauen dich zwei durchdringende Augensterne an. Auf der linken trägt sie eine Kirche, zur Rechten befindet sich der Hirsch. Nun schau dir dies liebliche Medaillon=Bild Idas recht lange an!" (S. 47-48 und Foto S. 49).
Professor Dr. Gêza Jäszai irrt, wenn er in seinem 1980 in der Festschrift "Heilige Ida von Herzfeld 980-1980" veröffentlichen Aufsatz "Ikonographische Bemerkungen zum Ida-Kult in Westfalen" (S. 109-136) ausführt:
"Die älteste Darstellung der Heiligen überhaupt ist jedoch bis heute unerkennt geblieben; sie schmückt als Schlußstein die 1901 erbaute Ida-Kapelle. Nach dem stilistischen Befund stammt sie ...aus dem 1506 geweihten Vorgängerbau der Kapelle, der 1784 abgebrochen wurde..." Es folgt eine kunsthistorische Beschreibung des Schlußsteines, u.a.: "...wie sie den Hirsch (Sinnbild des getauften, gejagten Christen)...umarmt."
Professor Gêza Jâszai beschreibt ebenfalls von Pfarrer Heinrich Ostmöllen angeschafften Schrein von 1512, von dem noch sechs gravierte Messingplatten an dem 1880 geschaffenen Schrein erhalten sind. Gêza Jâszai schreibt: "Sie stellen mit ihren Szenen aus dem Leben der heiligen Ida den ältesten narrativen Zyklus dar... 4. ein von Jägern und Hunden verfolgter Hirsch flüchtet sich in den Schoß der Heiligen..." Auch der 1523 datierte Taufstein in der Pfarrkirche zeigt in einer der acht Figurennischen am Fuß das Bildnis der heiligen Ida mit dem "anspringenden Hirschen".
Die Legende vom "Steine durch die Lippe tragenden Hirschen" hat der Pfarrer Franz Leifert aus Ostinghausen 1859 in seiner "Lebensgeschichte der heiligen Ida" ausführlich geschildert: "In einem aus dem Kloster Corbie herrührendem Manuskripte vom Jahre 979 heißt es: `Nach der Mittheilung unsers Bruders Bertgerus, ließ Ida, die Gemahlin des Sachsenherzogs Egbert, nach dem Tode ihres Gemahls an der Kirche eine Halle (porticus) bauen, indem sie über eine Sandbank der Lippe ging und die auf den Rücken eines gezähmten Hirsches gelegten Steine, aus welchen die Halle gebauet werden sollte, an einen Platz nahe bei die Kirche brachte.." (S. 62 mit lat. Text) Pfarrer Leifert betont die Aussage der sicheren Quelle aus Corbie. Er erläutert die "allgemeine Sage im Munde des Volkes" und verweist auf die Anmerkungen des Herzfelder Pfarrers Georg Osthaus (1656-1672), der in seinen Anmerkungen zur Lebensgeschichte der heiligen Ida (Anm. Osthaus: de vita s. Idae, Noten ad cap. 3, pag. 45.) über die Hirschjagd und die Flucht des Hirsches zur heiligen Ida berichtet. Osthaus soll gesagt haben:
"Zur Erinnerung an diese Begebenheit habe die heilige Ida dann dem 0rte den Namen gegeben und soll gesagt haben dat sall dit 0rt geneten, Harfeld sall et heten... “ (S. 64).
Pfarrer Joseph Herold beschreibt in seiner 1886 erschienenen "Tausendjährigen Geschichte des Gemeinwesens Herzfeld" das Vorkommen des Ortsnamens, der erstmals in dem Heberegister des Klosters Werden aus dem Anfang des 10. Jahrhunderts mit "villicatio in hirutueldun" bezeichnet wird. In der Urkunde über den Fürstentag zu Herzfeld 1024 heißt es "acta in hirtveldun(S. 6-7). Pfarrer Herold erläutert: "Die Etymologie von Herzfeld erscheint dann später niedergelegt in der volkstümlichen Legende..., die sich bis vor 1500 verfolgen lässt...Nach einer Weiterbildung der Legende hat Ida auf dem Rücken dieses zahmen Hirsches die Bausteine zur Herzfelder Kirche von Hovestadt her durch die Lippe -den sogenannten Idenpatt- tragen lassen. Passend zur Etymologie und Sage führt Ida stets den Hirsch als Attribut; ihre Rechte ruht meist an seinem Halse, während sie auf der linken Hand die Kirche trägt. So erscheint sie auch in den alten Pfarrsiegeln."
Die Ausführungen von Pfarrer Franz Leifert mit Hinweis auf das aus dem Kloster Corbie stammende Manuskript von 979 und die Aufzeichnungen des Herzfelder Pfarrers Georg Osthaus (1656-1672) sowie die Erläuterungen des Pfarrers Joseph Herold über die Weiterbildung der volkstümlichen Legende des Hirsches, der die Steine für den Bau des porticus durch die Lippe trug, führen zu einem wahren Kern, der durch die archäologischen Untersuchungen, die 1975/1976 bei den Ausgrabungen in der Kirche in Herzfeld zutage trat; Die Archäologin Dr. Gabriele Isenberg führt in der Festschrift "Heilige Ida von Herzfeld 980-1980“ aus, dass für die aufgehenden Wände der ersten Kirche behauene Steine aus Travertin (Süßwasserkalktuff) aus der Gegend um Geseke verwandt worden sind.
Die Steine für die erste Kirche (um 800?) und für den Anbau (porticus, nach 811) setzen einen Steinbruch und den Abbruch von Steinen aus dem Felsen durch fachkundige Arbeiter unter Leitung eines Besitzers voraus. Für den Transport der Steine über eine Strecke von mehr als 25 Kilometer waren Pferde und Karren erforderlich; die nur bei trockener Witterung in einem Tag die Strecke bewältigen konnten, ehe sie an der Furt der Lippe an der burgähnlichen karolingischen Anlage des sächsischen Herren (Egbert oder sein Burgvogt?) eintrafen Für die Ausführung des Plans eines Kirchenbaues aus Stein in Herzfeld mußte eine Infrastruktur geschaffen werden, die wahrscheinlich südlich der Lippe nur in den damaligen Städten Soest und Paderborn vorhanden war. Wahrscheinlich haben Ida und Egbert Bauhandwerker aus dem fränkischen Reich Karls des Großen mitgebracht, der zu dieser Zeit den 805 eingeweihten Dom zu Aachen errichten ließ.
Bis vor etwa 30 Jahren waren Nachrichten über die Karolingerzeit südlich der Lippe zwischen Soest und Lippstadt sehr dürftig, da die Publikationen über das Leben der heiligen Ida und ihres sächsischen Gemahls -bis auf wenige Ausführungen von Pfarrer Franz Leifert 1859, Augustin Hüsing (1880) und Joseph Herold 1886- sich auf die Legende des steinetragenden Hirsches und die Lippefurt im Alten Hof beschränken. Erst die Veröffentlichungen von Prof. Wilhelm Kohl zur Geschichte von Freckenhorst die Beiträge von Prof. Paul Leidinger zur Frühgeschichte von Freckenhorst und zur Christianisierung des Ostmünsterlandes sowie in einer Ausstellung und einem Katalogband veröffentlichten Ergebnisse der Ausgrabungen im Bereich der ehemaligen Abtei
Liesborn haben wesentliche Informationen über die Infrastrukur der karolingischen Ansiedlungen, die Lebenswelt ihrer Bewohner und die mit der Christianisierung einhergehende kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Bewohner zwischen Hellweg und Lippe aufzeigt.
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