Das Judentum
Ein kleines Volk
Die Religion des Judentums gehört zu den ältesten der Welt. Seine Geschichte ist weit über 3000 Jahre alt. Das Judentum ist zugleich ein Volk und eine Religion. Die meisten Religionen vergangener Zeiten haben viele Götter verehrt. Das Judentum hat sich von seinen Anfangen bis heute zum Glauben an den einzigen Gott bekannt. Dieser Glaube ist auch von anderen Religionen übernommen worden. Vor allem das Christentum und der Islam sind ohne das Judentum undenkbar.
Weltweit gibt es etwa 17 Millionen Juden. Sie wohnen in vielen Ländern zerstreut. In den USA leben rund 5 Millionen Juden, im Staat Israel etwa 3 Millionen und in den östlichen Ländern Europas 2 Millionen. Die Zahl der Juden in der Bundesrepublik Deutschland beläuft sich auf etwa 35000.
Weisungen zum Leben
Die Juden haben - anders als die Christen - kein offizielles Glaubensbekenntnis, das sagen könnte was für die jüdische Religion wichtig ist. Einen Zugang zu ihrer Religion kann man finden, wenn man das Hauptgebot des Judentums beachtet, das fromme Juden mehrmals täglich beten. Es lautet:
Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig. Darum sollst du den Herrn, Deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben. (Dtn 6,4-9)
Das wichtigste Kennzeichen jüdischer Frömmigkeit ist die Bindung an die »Thora«. Oft übersetzt man »Thora« mit »Gesetz« oder »Gebot«. Diese Übersetzung ist nicht ganz zutreffend. Besser übersetzt man »Thora« mit »Weisung«, weil so deutlicher zum Ausdruck kommt, dass Israel die Thora als Gottes Geschenk ansieht, das es ermöglicht, ein sinnvolles und glückliches Leben zu fuhren.
Tod und Bestattung
Wie bei vielen anderen Völkern wird auch bei den Juden der Tod von einer reinen Gedanken- und Formenwelt umgeben. Ein im Trauerhaus gesprochenes Gebet preist den Verstorbenen, weil er »der Freuden Fülle vor Gottes Angesicht« erschaut. »Denn du überlässt nicht mein Leben dem Totenreich, noch duldest du, dass dein Frommer die Grube erschaut« (Ps 16,10).
Nach den biblischen Berichten begannen die altjüdischen Trauerzeremonien mit der Klage (hebräisch Kina) der berufsmäßigen Klagemänner und -frauen. Als Zeichen des Schmerzes zerrissen die Leidtragenden ihre Gewänder, kleideten sich in einen Sack und rauften sich das Haar. Auf jede Weise machten sie sich unkenntlich, um sich den unreinen Totengeistern nicht auszusetzen. Es war lange Zeit Brauch, den Toten bereits am Sterbetage zu bestatten. »Die Bestattung ist Labsal für die Seele des Toten, und nur nach erfolgter Bestattung wird der Tote eingelassen in Gottes Stätte«. So heißt es in alten jüdischen Vorschriften. Nach der Lehre der Kabbala (Überlieferung) wird der nicht bestattete Tote von den züchtigenden Engeln umringt, die seinen Leib verunreinigen und seine Seele peinigen. Diesen Engeln wird erst dann die Macht genommen, wenn der Tote im Grabe ruht. Die Bestattung ist daher eine sehr wichtige Angelegenheit.
Alle mit der Bestattung zusammenhängenden Geschäfte besorgte eine besondere Vereinigung, die Chewra kaddischa, die Heilige Bruderschaft. Mitglieder dieser Bruderschaft übernahmen die Pflege der Kranken, standen den Sterbenden bei und spendeten den Überlebenden Trost und Hilfe. Unmittelbar nach dem Eintritt des Todes drückt man dem Toten die Augen zu. Als Begründung gibt das Buch Sohar, ein Hauptwerk der Kabbala, an, dass das Auge die künftige Welt nicht erblicken könne, solange es diese Welt noch schaut. Im Tode sieht der Mensch die Schechina, die unmittelbare Gegenwart Gottes. Es ist daher heilige Pflicht der Söhne, dem Toten die Augen zu schließen. Ein Verstorbener wird gewaschen, bekommt sein Totenkleid angelegt und wird in einen Sarg gelegt, bzw. in ein Tuch gehüllt. Seit ungefähr 1900 Jahren besteht die Regel, dass alle Unterschiede zwischen den Menschen im Leben durch den Tod nivelliert werden. Daher und weil die davor übliche Praxis zum Teil sehr prunkvoller Beerdigungen für die weniger Begüterten beschämend war, wird auf Bescheidenheit sehr großen Wert gelegt. Der Sarg darf nur von einfacher Machart sein; Vorschrift ist eine einfache Kiste aus ungehobeltem und nicht gefärbtem Holz. Das Totengewand besteht aus einfachem Leinen, das mit großen, groben Stichen zusammengenäht wird. Schmuckgaben sind verpönt; denn was allein als Schmuck in den Tod mitgenommen werden kann, sind die guten Taten, die guten Werke.
In früheren Zeiten kleidete man den Toten in kostbare Gewänder. Man nahm an, dass er in diesen Kleidern auch auferstehen werde. Vielfach war dieses Gewand der Sargenes, anfänglich ein Sabbatkleid, dann auch Festgewand für das Versöhnungsfest und den Hochzeitstag. Später wurde der Kittel nur noch als Totengewand und Trauerkleid betrachtet.
Jeder, an dem ein Toter vorbeigetragen wird, hat die Pflicht, ihn zu begleiten. Das Haupt des Toten ruht auf einem Beutel mit Erde. Auf das Gesicht wird etwas Palästinaerde gestreut, damit der Israelit nicht gänzlich in fremder Erde ruhen müsse. Alle, die das Grab umstehen, müssen die Erde zu seiner Auffüllung aufschütten. Hat das Grab schon einige Gestalt gewonnen, werden einige Gebete gesprochen, darunter das Kaddisch, das vom Sohn des Verstorbenen gebetet wird:
»Hocherhoben und geheiligt sei der Name des Meisters in der Welt, die Er erschaffen nach Seinem Willen. Er lasse Sein Reich herrschen in eurem Leben und in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel, jetzt und in künftiger Zeit und sprechet: Amen! Gepriesen sei der Name des Meisters in der Welt und in alle Ewigkeit. Gebenedeit und gelobt, geehrt und hocherhoben, gerühmt und gepriesen, hochgelobt und verherrlicht sei Er über alles Lob und jeden Preisgesang, über alle Verherrlichung und jegliche Tröstung, die man auf der Erde ausspricht. Und sprechet: Gepriesen sei der Name Gottes von nun an bis in Ewigkeit. Amen. Großer Friede vom Himmel und das Leben sei über uns und über ganz Israel! Und sprechet: Amen. Meine Hilfe kam vom Namen des Herrn, der die Erde und den Himmel schuf. Er, der den Frieden in der Höhe schuf, möge über uns und über ganz Israel den Frieden bringen! Und sprechet: Amen!«
Dieses altjüdische Gebet hat viele Gedanken, die auch im christlichen Gebet, dem Vaterunser, zu finden sind: Die Bitten um die Heiligung des Namens Gottes, um die Ausbreitung des Gottesreiches und um Frieden. Das Vaterunser wurde aus jüdischer Tradition formuliert. Das Kaddisch war ursprünglich ein Gebet, mit dem man die gottesdienstlichen Vorträge und die Thora-Lesung abschloss. Erst nach und nach entwickelte es sich zu einem Trauergebet, das die Kinder für das Seelenheil der Eltern verrichteten. Nichts von erbaulicher Rührseligkeit! Nach diesem Gebet ruft man dem Toten zu: »Zieh hin in Frieden!« Die Trauergäste nehmen Gras mit Erde, werfen sie hinter sich und sprechen: »Gedenke dessen, dass wir Staub sind!« Erst nachdem sie die Hände gewaschen haben, dürfen sie das Trauerhaus wieder betreten.
In vielen jüdischen Gemeinden bestand die Sitte, im Trauerhaus zwei Opferbüchsen aufzustellen. Die eine davon war mit Geld gefüllt und geöffnet und diente den Hinterbliebenen zur Unterstützung. Die zweite war verschlossen und sollte die Spenden der Trauergäste aufnehmen. Falls die Hinterbliebenen kein Geld in Anspruch zu nehmen brauchten, entleerten sie den Inhalt der vollen Büchse in die verschlossene Büchse. So wurde nicht bekannt, ob und wie viel Geld gebraucht worden war. Auf diese taktvolle Weise wurde dem Schriftwort entsprochen: »Du sollst den Armen nicht beschämen«. Auch die Grabanlagen sind typische Zeugnisse für die jüdischen Vorstellungen von Leben und Tod. Nach Möglichkeit werden die Gräber in West-Ost-Richtung angelegt, so dass das Gesicht des Verstorbenen nach Jerusalem blickt.
Die Grabsteine, die im allgemeinen nach einem knappen Jahr gesetzt werden, sind gemäß der oben genannten Bescheidenheitsvorschrift meist ebenfalls nicht sehr auffällig gestaltet. Sie enthalten die bürgerlichen und rituellen Namen des Verstorbenen, sein Geburts- und Todesdatum — oft gemäß des jüdischen Kalenders - und gelegentlich einige Worte, die die Verdienste des Toten hervorheben. Im Laufe der Entwicklung bildete sich bei den Aschkenasim (in Mittel- und Osteuropa) der Typ des aufrechtstehenden Grabsteines, bei den Sephardim (in West- und Südeuropa) der der liegenden Grabplatte heraus. Derartige Friedhöfe befinden sich in Oudekerk (Holland), Altona, Tetuan und Tunis. Als Material für die Grabsteine verwendete man roten Granit, Marmor oder Sandstein. Im steinarmen Osten verwendete man auch Gusseisen oder Holz.
Als Grabmalform für besonders prominente jüdische Persönlichkeiten findet man häufig die Sarkophagform mit dem typischen Sattel- oder Zeltdach. Vorder- und Rückwand sind meist stark betont. Einzigartig ist die Symbolik der jüdischem Grabmalkunst. Der Schmuck bezieht sich oftmals auf den Beruf des Verstorbenen. Man findet Darstellungen von Scheren, Harfen, Geigen, Mörsern, Kronen und Ketten. Zwei im Segensgestus erhobene Hände bezeichnen das Grab eines Kohen, eines Abkömlings des Priesterstammes, eine zur Handwaschung benutzte Kanne das Grab eines Leviten. Besonders ausgeprägte Meisterwerke der jüdischen Grabmalkunst befinden sich auf den Friedhöfen der östlichen Ländern Europas. Hier wird oft schmerzlich auf die Lücke hingewiesen, die durch den Tod in der Familie entstand. An Darstellungen findet man ein Schiff, das mit geknickten Masten führerlos auf dem Meere treibt, eine umgeworfene Lampe auf einem Studiertisch, Vögelchen in einem Vogelnest, die traurig der davonfliegenden Mutter nachblicken. Die Gräber der Gelehrten besonders der Chassidim (der Frommen), sind oftmals zu vielbesuchten Wallfahrtsorten geworden.
Bei den Sephardim verwendet man in Anlehnung an christliche Vorbilder als besondere Todessymbole Totenschädel, Stundenglas und Darstellungen von Totentänzen.
Im allgemeinen sind die jüdischen Gräber klein in ihren Dimensionen und bringen keinen besonderen Unterschied zwischen arm und reich zum Ausdruck. Auf alten Friedhöfen befinden sich keine gärtnerischen Anlagen. Man nennt die Friedhöfe Haus der Ewigkeit, Stätte des Lebens, Guter Ort. Aus dem lateinisch-katholischen Kirchengebrauch wurde von den deutschen Juden die Sitte übernommen, alljährlich der Wiederkehr des Todestages der Eltern oder der nächsten Verwandten zu gedenken und dabei zu Hause oder in der Synagoge ein Licht abzubrennen. Diese Sitte nennt man Jahrzeit. In allen mittelalterlichen Synagogen läuft in etwa zwei Meter Höhe ein Gesims zum Aufstellen der Jahrzeit-Kerzen.
Aus: “Friedhöfe der Synagogengemeinde Hovestadt” (J. Hamann, D. Schröer) Markus Hunecke OFM
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