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Ab nach Abschluß des Westfälischen Friedens 1648 die Gesandten und ihre Begleiter aus vieler Herren Länder Münster verließen, da verbreiteten sie häufig ein nicht eben vorteilhaftes Bild ihrer Gastregion Westfalen und deren Menschen. Man berichtete gern über Rückständigkeit und primitive Lebensweise. Gewiß eine einseitige Sicht. Man vergaß dabei wohl, daß auch in anderen Regionen Europas ein Großteil der Bevölkerung einfach, wenn nicht in Armut lebte; vor allem dort, wo der grausame Krieg seine Verwüstungen hinterlassen hatte. Zwar fehlte in dem politisch zersplitterten Westfalen ein zentrales höfisches Vorbild. Doch neben größeren und kleineren Residenzen verteilte sich über das Land eine Reihe prächtiger Adelssitze, auf denen man vor allem nach dem Vorbild Frankreichs und der damals kulturell ebenso tonangebenden niederländischen Generalstaaten durchaus den Zeitsitten entsprechend standesgemäß zu leben wußte. In den Archiven dieser Adelssitze werden noch heute manche Dokumente bewahrt, die indirekt von großen Festen Zeugnis geben, von Hochzeiten und Taufen mit bis zu 200 aus der näheren und weiteren Umgebung angereisten Gästen und von üppigen Speisen auf den feierlich gedeckten Tafeln.1 Zu den Höhepunkten im Alltagsleben dieser Adelssitze gehörten auch Durchzüge eigener und fremder Landesherren.
In Westfalen dominierten nach dem Westfälischen Frieden in den 1650er Jahren vier geistliche Territorien: Osnabrück mit dem seit 1625 regierenden katholischen Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartenberg, der 1661 starb und alternierend von dem evangelischen Fürstbischof Ernst August von Hannover abgelöst wurde. In Paderborn wechselte 1661 ebenfalls der Landesherr, nachdem seit 1650 Friedrich Adolf von der Reck regiert hatte. In Münster machte in diesen Jahren Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (1650-1678) durch seine Auseinandersetzung mit der Stadt Münster viel von sich reden. Das Herzogtum Westfalen gehörte zum Erzstift Köln unter Maximilian Heinrich (1650-1688) aus dem Hause Wittelsbach.
Er beherrschte damit ein Gebiet, das fern von seiner Hauptresidenz lag, und das er nur in mehrtägigen Reisen auch durch fremde Territorien besuchen konnte. Der Arnsberger Historiker Féaux de Lacroix schildert: Wenn die Kurfürsten mit großem Gefolge ihn westfälische Residenz Aufsuchten, so gab es jedesmal vielerlei zu besorgen. Denn wo immer der Landesherr seinen Weg hernahm, da mußten die Straßen ausgebessert, Quartiere beschafft, Vorräte besorgt werden und vieles andere. Namentlich hatten die kurfürstlichen Ober- und Unterbeamten in Arnsberg vollauf zu thun. Der Landdrost und der Oberkellner hatten das ganze zu leiten.2 1656 beispielsweise zog der Kölner Kurfürst mit 204 Personen und 162 Pferden nach Amsberg.3 Auf solchen Reisen mußte natürlich von Köln bis Arnsberg mehrere Male Station gemacht, genächtigt und gespeist werden. Häufig bot sich dafür nur einer der zahlreichen Adelssitze an. So ist bekannt, daß Maximilan Heinrich am 20. September 1664 in Begleitung von etwa 80 Personen und 120 Pferden auf Haus Wocklum weilte, dem Wohnsitz seines Landdrosten im Herzogtum Westfalen. Nur 50 Menschen konnten in 32 Betten im Hause selbst untergebracht werden, während die übrigen im nahen Balve logierten.4
Neben den geistlichen gab es noch kleinere evangelisch-säkulare Territorien, an bedeutenderen die Grafschaften Bentheim, Steinfurt, Lingen, Tecklenburg, Rheda und die Grafschaft Lippe, das Fürstentum Minden, die Grafschaft Ravensberg und die Grafschaft Mark. Die drei letztgenannten besaß der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm, von seiner brandenburgischen Residenz Cölln an der Spree weit entfernt liegende und nicht einmal zusammenhängende Landesteile, deren Besuch weite Anreisen erforderte. Um so mehr war er bei Besuchen dort genauso wie in seinen klevischen Besitztumern auf freundliche Aufnahme in Schlössern des Adels angewiesen. Auch von seinen Durchreisen kann man bis heute Spuren in westfälischen Adelsarchiven finden, zum Beispiel Fourierlisten, Rechnungen und Briefe.
Solche Belege gibt es unter anderem in Hovestadt, einem noch heute mit seiner kunstvollen Renaissance-Fassade beeindruckenden Schloß im Besitz der Familie von Plettenberg. Der aus Wesel stammende Baumeister Laurenz von Brachum († 1586)5 hat das Gebäude zwischen 1563 und 1572 an Stelle der damals stark verfallenen Burg von 1371 im Auftrag ihres Besitzers Goswin von Ketteler errichtet. Brachum war schon 1554 am Bau des Wasserschlosses Horst im Emscherbruch, der Residenz des kurkölnischen Statthalters im Vest Recklinghausen, Rüttger von der Horst, wesentlich beteiligt. Durch den dortigen Bauleiter Arndt Johannssen, Stadtbaumeister von Arnheim, kam er mit Ideen der Schule von Fontainebleau in
Berührung.6 Unter dem Einfluß niederländischer Meister schuf er eine Reihe von Schlössern, die als Lippe-renaissance-Bautes eingeordnet werden. Zu seinen hervorragenden Werken zählen unter anderem das nicht weit von Hovestadt entfernte, um 1564 ebenfalls im Auftrage Goswin von Kettelers entstandene Haus Assen und Schloß Geist bei Oelde, damals im Besitz der Familie von Loe. Außerdem entwarf er zahlreiche weitere repräsentative Bauten, darunter 1575 die Pläne für einen Ausbau des Arnsberger Schlosses zur Residenz des Kölner Kurfürsten Salentin von Isenburg, den sogenannten Salentinbau.7
Das Wasserschloß Hovestadt liegt, weiträumig umgeben von einem Park und dem Wirtschaftsteil auf der Vorburg, an einem geschichtlich bedeutsamen Lippeübergang. Dort sollen zur Zeit Karls des Großen Herzog Ekbert und seine missionarisch tätige Gemahlin Ida ihre „Hofstatt“ gehabt haben.8 Auf der anderen Seite des Flusses, wo sich ihr Landbesitz mit dem Haupthof „Hirutfeld“ erstreckte, steht die Kirche von Herzfeld, in. der noch heute die heilige Ida verehrt wird. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist Hovestadt als strategisch wichtige Landesburg der Kölner Erzbischöfe an der Grenze zum Münsterland nachweisbar. Die ursprünglich wie Schloß Horst mit vier Flügeln und vier Ecktürmen geplante Anlage auf einer Insel im großen Hausteich wurde -wahrscheinlich aus Geldmangel - nie fertiggebaut. Es blieb bei den von Brachum errichteten zwei Flügeln mit dem eindrucksvollen plastischen Ziegelstein-Fassadenschmuck im abgewandelten Florisstil9 und einem markanten Eckturm. Verschiedene Künstler arbeiteten an Fassade und Innenausstattung mit, unter anderem der Bildhauer Adrian von Utrecht, der die eindrucksvollen Löwenköpfe für die Außenfassade schuf.10 Man kann hier wohl mit Recht von zeitgemäßer Baukultur auf hohem Niveau sprechen.
Als 1649 die Kettelers auf Hovestadt in männlicher Linie ausstarben, übernahm der aus münsterländischem Adel stammende Obristleutnant Gottfried von Heyden zu Schönrad11 den Besitz. Er war mit der Erbin von Hovestadt, Ottilie von Ketteler, verheiratet und wurde am 25. September 1651 mit Haus Hovestadt belehnt.12 Offenbar aus diesem Anlaß entstand 1650 eine umfangreiche Inventarliste13 von Viehbestand und Ackergeräten, aber auch von Teilbereichen des Schlosses, hauptsächlich den Wirtschaftsräumen. Sie gewährt einen detaillierten Oberblick sowohl über die Vielfalt der vorhandenen Gegenstände wie auch über die Räume, in denen sie sich befanden. Unter anderem wird eine Bibliothek14 genannt, in der eine stattliche Anzahl von juristischen, theologischen und historischen Büchern bewahrt wurde, darunter einige hauswirtschaftliche Bände, zum Beispiel eines der ältesten Werke der deutschen Hausvaterliteratur, das „Hausbuch“ von Johannes Coleri (1560-1639)15 in drei verschiedenen Exemplaren: „hausbuch Jo[han]is Coleri“, „hausbuch Coleri, erster theill“, „Jo[han]is Coleri haußbuch vierther theil“16
Ebenso ausführlich sind die Wirtschaftsräume erfaßt: die Arbeits- und Wohnbereiche der Schneider, Schuster, Schmiede, der Jäger und des Küchenpersonals nebst einer „bathstube“, auch Küchen-, Vorrats- und Kellerräume. An Küchenausstattung wird erwähnt: ein eissern vehnes herd, darin 3 kessel haken so man außschürtzen[?] kan, 2 grosse eissern branderboden17, eine wasserpumpe von holtz, dann eine eisseren stange, an grosser metallen mörser ohne stösser, darauf die jharzahl 1616 stehet, ein eisseme feur schupff und vorke. Bei dem eissern vehnes18 herd könnte es sich um eine hochgemauerte Herdstelle mit Eisenplatte handeln19, auf der man das Koch-Feuer ...so eingerichtet / daß die Töpffe rund herum um dasselbe stehen / umd an dem Kessel-Hacken noch ein oder mehr Kessels mögen hangen können20, eine bestimmte Art von Herd also, der vielfältige Kochvorgänge ermöglichte, wie sie zum Anrichten anspruchsvollerer Speisen notwendig sind. Auf einen hohen Standard verweisen auch die drei in der Waschkammer21, vermutlich einem Sputraum, gelagerten eisernen Bratspieße verschiedener Größe, von denen einer sicb selbst dreyet met rollen. Im Küchenbereich gab es außerdem eine Speisekammer mit vielfältigem Hausrat22 und eine „Ahnrichte“23, wohl ein Raum, wo kalte Gerichte und die Speisen nach dem Kochen für den Tisch zubereitet wurden, im […?] scheinen die kostbaren Dinge aufbewahrt worden zu sein, darunter Preziosen aus Edelmetallen oder -steinen, aber auch als wertvoll erachtete Gebrauchsgegenstände wie vier glaserne Butterschüsseln. Darüber hinaus gibt es eine umfangreiche Aufstellung von Silbergerätschaften und eine weitere von Zinngeschirr in der Apothek24. Die Kellerräume, darunter ein Bier- und ein Weinkeller, bargen unter anderem Teigtröge, Braupfannen, 3 bierbödden, 2 bierfässer und große Weinfässer.
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