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Während sich Dokumente und Berichte der Zeit von festlichen Essen in Adelskreisen Westfalens auch mit Erwähnung der servierten Speisen erhalten haben58, war über die Bereitung einzelner Gerichte bislang wenig bekannt. Es blieb die Frage: Paßte man sich einer damals üblichen gehobenen Küche an oder gab es regionale Besonderheiten? Im 1996 erschienenen Katalog des Lemgoer Weserrenaissance-Museums zur Ausstellung „Adel im Weserraum um 1600“ meint Eckehard Deichsel: „Kochrezepte aus adligen Haushalten des 16. und 17. Jahrhunderts sind äußerst selten überliefert.“59 Er selbst griff daher auf das gedruckte Kochbuch Frantz de Rontziers von 159860 zurück, der bei Erscheinen seines Werkes bereits 41 Jahre Mundkoch der Braunschweig-Lüneburger Herzöge war. Hier wird der gehobene Standard einer norddeutschen höfischen Küche wiedergegeben. Das dürfte daher auch der Maßstab für die mitreisenden Köche des brandenburgischen Kurfürsten gewesen sein.
In der Begleitung des Kurfürsten befanden sich sein Küchenmeister, das heißt, der oberste Organisator für den gesamten Haushaltsbetrieb des Hofes61, mit seinem Diener sowie sein Mundkoch62 ,der für die praktische Arbeit in der Küche leitend zuständig war. Neben diesem werden noch fünf weitere Angestellte für die Küchenarbeit erwähnt, außerdem ein Konditor sowie ein Pastetenbäcker, jeweils mit einem oder zwei Dienern, und ein Keilerknecht, der selbst wieder fünf Untergebene mitführte. Außerdem hatten die Prinzen einen eigenen Mundkoch und einen Prinzenkoch, jeweils mit einem Diener, und einen Küchenschreiber mit zwei Dienern in ihrer Begleitung. Zusätzlich verfügte der Kurbrandenburgische Generalleutnant und Wirkliche Geheime Rat Graf Dohna63, ein Vetter der Kurfürstin Henriette Luise, über einen eigenen Küchenmeister und einen Koch.64
Es kann angenommen werden, daß Gottfried von Heyden auf Hovestadt einen eigenen Koch samt dem notwendigen Küchenpersonal beschäftigte. Aus seinen Abrechnungen geht aber auch hervor, daß er aus Anlaß des kurfürstlichen Besuchs eines Koch aus Lippstadt bestellt hatte und daneben noch einen weiteren, nicht näher bezeichneten, bezahlte. Um solch eine große Schar von Menschen zu beköstigen, waren sicher mehrere Kochkundige notwendig, und es war durchaus üblich, fremde Köche zu engagieren.65 Da für die Vorbereitung des Mahls die kurfürstlichen Köche noch nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen konnten, mußte die Planung wohl von den mit der adligen westfälischen Küche vertrauten Einheimischen geleistet werden.
Das führt wieder zu der Frage: Wie kochte man im 17. Jahrhundert in westfälischen Adelskreisen? In westfälischen Archiven läßt sich, wie gesagt, wenig dazu finden, vielleicht ist aber manches noch nicht entdeckt.66 Hier einige Zufallsfunde: Aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gibt es eine als „Medizinbuch“ titulierte gebundene Handschrift von Haus Borg bei Rinkerode, die neben einer großen Anzahl damals üblicher medizinischer Rezepturen eine kleine Abteilung mit eigentlichen Kochrezepten enthält.67 Ihr Inhalt zeugt durchaus von einer gehobenen Kochkultur unter reichlicher Verwendung exotischer Gewürze und Früchte. Noch etwas älter ist eine zu einem schmalen Heft zusammengebundene Sammlung von Rezepten aus den Akten der Herrschaft Desenberg bei Warburg, die jedoch hauptsächlich Rezepte zum Bereiten von Getränken, Anleitungen zum Konservieren von Obst und ähnlichem in Honig oder Zucker sowie einige Backrezepte unter anderem für Konfekt überliefert.68 Eine als „Kuchenbüchelein“ titulierte geheftete Blattsammlung von 21 Seiten aus dem Archivbestand der Droste zu Vischeringschen Verwaltung hält 14 Back- und Kochrezepte aus der Zeit um 1700 fest69, in denen ebenfalls reichlich Importgewürze und Südfrüchte verwandt werden. Doch all das gibt nur einen unzulänglichen Einblick.
Inzwischen tauchte eine aussagekräftigere Quelle unbekannter Herkunft auf, ein in Schweinsleder gebundenes, dickleibiges, von mehreren Schreibern sorgfältig verfaßtes „Küchen- und Gartenbuch" von Seiten, nur ein kleinerer Teil davon vakant. Neben wenigen Anleitungen zum Putzen z. B. von Fenstern, Waschen von kostbaren Kleidungsstücken und Tischwäsche oder Färben von Garnen und neben einigen Empfehlungen zur Pflege von Bier und Wein am Anfang sind darin hauptsächlich Rezepte zum Anrichten verschiedenartiger Speisen, geordnet nach Sparten, enthalten. Am Ende des Bandes befindet sich noch ein eigener Teil mit Regem zum Gartenbau. Die Fülle von Koch- und Backrezepten läßt im ganzen gesehen auf eine gehobene Küchenpraxis schließen, sowohl was die technische Ausstattung anbetrifft wie auch die Qualität der verwendeten Grundstoffe. Hinweise auf die Herkunft lassen sich nur noch der Quelle selbst entnehmen. Leicht kann man vom Charakter der Rezepte auf einen großen ländlichen Herrensitz schließen. Typische sprachliche Merkmale verweisen auf Westfalen und bei näherer Untersuchung einzelner Mundartvarianten auf den Lipperaum zwischen Hamm und Lippstadt.70 Eine offenbar spätere, bei der Benutzung eingetragene Notiz nennt Herzfeld als Bezugsort von 102 Pfund Butter. Das legt die Vermutung nahe, daß Schloß Hovestadt mit dem Pachthof Herzfeld und mit abgabepflichtigen Bauern in der Ortschaft Herzfeld71 Herkunftsort dieses Küchenbuchs ist. Auch für die Datierung gibt es einen Anhaltspunkt: eine Anleitung, schlechtes Bier zu verbessern, nennt das Jahr 1675. Da diese Eintragung auf später eingefügten Blättern - wie die Seitenzählung erkennen läßt - steht, kann man davon ausgehen, daß der größte Teil des Küchenbuchs und auch des Gartenbuchs aus der Zeit vor 1675 stammt und damit eine gewisse Zeitgleichheit mit dem Besuch des brandenburgischen Kurfürsten auf Hovestadt bekommt.
Das „Westfälische Küchen- und Gartenbuch, vermutlich Hovestadt, Handschrift zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts“ (künftig „Küchenbuch Hovestadt" genannt) hebt sich nicht nur durch seinen Umfang sondern auch in seiner offensichtlich an Vorbildern ausgerichteten, gestalteten Aufmachung, seiner überlegten Systematik und seiner flüssigen Formulierung von den vorher genannten Quellen ab. Es ist allerdings nicht als Lehrbuch mit Grundrezepten zu verstehen wie die neueren bürgerlichen Kochbücher, sondern hält Anleitungen zu besonders gelungenen oder schwierigen Gerichten fest, die aus der Erfahrung oder Eigenschöpfung eines oder mehrerer Köche stammen oder einer landschaftlichen Überlieferung entsprechen. Dabei bekommt man eine eindrucksvolle Vorstellung von der damaligen Kochkunst Westfalens in den höheren westfälischen Adelskreisen. Diese orientierte sich demnach zwar wesentlich an der allgemeinen gehobenen Küche mit ihren im Übermaß benutzten exotischen Gewürzen und südlichen Früchten, verriet andererseits aber eine landschaftliche Orientierung und Tradition bis hin zu Speisebezeichnungen und mundartlichen Redewendungen.
Einzelne Rezepte im „Küchenbuch Hovestadt" zeigen deutlich, daß die westfälische Adelsküche der fürstlichen Küche in manchem nahestand. Das mag ein Vergleich mit den in ihrer Mehrzahl jedoch anspruchsvolleren Kochanleitungen des erwähnten, in Norddeutschland arbeitenden Mundkochs Rontzier zeigen. Dabei fällt zunächst einmal ein gravierender Unterschied zwischen beiden auf, der allerdings landschaftlich bedingt war: Rontzier konnte die günstigere Lage seines Arbeitsortes zum Meer nutzen und ein reiches Angebot von Seefischen, etwa 25 Sorten, verarbeiten. In Hovestadt standen an Seetischen nur solche zur Verfügung, die aus dem Meer in die Flüsse steigen, wie Salm und Stör, der in der Weser bis Minden anzutreffen war. Echten Seefisch gab es nur in den damals möglichen konservierten Formen, nämlich den gesalzenen Hering und den getrockneten Stockfisch, der, vielleicht heute unerwartet, auch auf die Herrentafel kam. Selbst Rontzier nennt zehn Arten, ihn zu bereiten, nachdem er in „Regen oder Teig Wasser“ weichgemacht ist.72 In der Hovestädter Niederschrift sind vier Bereitungsarten wiedergegeben. Dazu als Beispiel zunächst eine allgemeine Anleitung:
Stockfisch zu weichen
Bocket den Stockfisch und legget in lauwarm waßer (aber kein pützwaßer), thuet etwas heyße amer , und laßet ihn eine nacht damitt stehen, den morgenwaschet ihn rein darauß, gießet kalt waßer wieder daruff, soll er aber lange stehen, so müeßet ihr den tag woll drey mahl frisch waßer geben, wan er nun gesodden wirdt, so laßet ihn lange aber sachte sieden und allein kriemelen, darnach gebet ihm auffm tisch und feuchtet ihn woll mitt butter, weill er ein trückner gesell ist.
Stockfisch zu schmoren
Wan der Stockfisch geweichetund zusahmen gebunden ist, so bratet ihn auff die roster, wan er gebraten ist, so bindet ihn nit loeß, sondern thuet ihn also in ein pott, gießet darauff Stockfisch- oder ander waßer, thuet darzu corinten, pfeffer, butter und woll siepell, dieses laßet woll zusahmenstöffen.73
An Flußfischen konnten die Anwohner der Lippe schon mehr bieten, zum Beispiel die aalähnliche Lamprete, auch Pricke oder Neunauge, ein Fisch, zu dem im „Küchenbuch Hovestadt" ein ähnliches Rezept auftaucht wie bei Rontzier:
Ein Lampret zu braten.
Wan der lampret gesodden ist, so machet selbigen woli naß mitt kirschenwein oder rohten wein, stechet ihn an das speiß[I] und laßet braten, alstan machet eine brühe, siedet corinten in den wein, worein der lampret getauchet oder naß gemachet ist, thuet darein zimhlich woll kraut und butter, wie auch caneil, sucker und muschaten negell, diese brühe gießet darüber wan er in die schüßell gelagt ist.74
Rontzier nennt sechs Varianten der Zubereitung, an zweiter Stelle:
Item / man bratet sie an stecken gestochen / macht darnach Butter braun / thut darein Wein / Zucker / Muscatenblumen / Saltz unnd Kaneil / gibts uber die gebraten Neunaugen un besprengt sie mit Saltz.75
Neben Fischgerichten, denen damals vor allem an den recht zahlreichen Fasttagen Bedeutung zukam, galten Fleischgerichte auf der Herrentafel als unerläßlich und für festliche Mähler stand Wild an erster Stelle. Auch hierfür ein Beispiel, das zeigt, daß die westfälische Adelsküche der fürstlichen nicht nachstand:
Einen Rehepfeffer zu machen
Nemmet fleisch von einem rehe und werffet in butter, so in einem pott braun gebraten ist, laßet eß sieund woll schmoren, alstan thuet darauff gewürtz wie folget, blumen, negell, gimber, pfeffer, nüße, ein wenig siepell, ein glaß wein und woll zucker, wie auch nottürfftig saltz, machet also den pott fast zu und laßet darein gahr kochen.76
Bei Rontzier gibt es ein ähnliches Rezept:
Item / man schneidet das fleisch von den knochen in kleine stücklein / bradet es sampt den knocken in Butter das die Butter nicht braun werde / darnach gibt mans in ein Silber und bestrewets mit Pfeffer / Muscaten und Saltz geust da Wein uber deckts fest zu / lests alßdan auffkochen.77
Zum Anrichten der in der Hovestädter Einkaufsliste genannten Velthühner78 überliefert das „Küchenbuch Hovestadt“ folgendes Rezept:
Velthüner zu braun
Bespicket die velthüner mitt klein schmahl geschnitten frisch speck oder beschaten negell, stechet sie an das spieß, laßet sie braten, alstan thuet zimhlich woll butter in die pfanne wie auch ein wenig gestoßen pfeffer und schieren eßig, betrieffet die velthüner hiemitt, wan sie ein wenig gebratet seindt, woll und offt, laßet sie heiß abbraten, daß sie scheumen, gebet sie dan also auffm tisch und gießet die butter mitt dem pfeffer und eßig darüber, so in der bradtpfanne ist.79
Was Gemüse und Obst anbetrifft, so mag im Dezember in Hovestadt das Angebot nicht groß gewesen sein, abgesehen von durch Zucker oder Salz, konservierten Produkten, zu denen es im „Küchenbuch Hovestadt“ zahlreiche Anleitungen gibt. Doch für den Sommer kann man auf ein beinahe ebenso vielfältiges Angebot an Gemüse und Obst schließen, wie es Rontzier zur Verfügung stand, bis bin zu Orangen und Zitronen, Spargel und Artischocken. Zusätzlich bietet die Handschrift eine für die damalige Zeit auffallende Besonderheit, nämlich eine Anleitung, Kartoffeln zu bereiten.80 Im Gartenbuch gibt es einen Hinweis für den Kartoffelanbau.81 Das bekommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Die Gattin des brandenburgischen Kurfürsten, Henriette Luise, die 1660 mit nach Hovestadt kam, kannte diese amerikanische Knollenfrucht aus den Niederlanden und veranlagte, sie schon in den 1650er Jahren im kurfürstlichen Lustgarten in Berlin anzupflanzen. Vorher hatte man sie mit der Küchenpost über Hamburg aus den Niederlanden bezogen.82
Auf eine festliche Tafel gehörten damals neben Fleisch und Gemüse natürlich kunstvolle Pasteten -nicht umsonst nahm der Kurfürst einen eigenen Pastetenbäcker mit auf die Reise- auch das „Küchenbuch Hovestadt“ bringt eine eigene Abteilung „Von pasteden“. Für die in der Renaissance so beliebten Schauessen war die Blütezeit schon vorüber. Doch verstand man sich noch darauf, z. B. einen ganzen Ochsenkopf zu kochen und ihn mit Gold und Silber zu verzieren.83 Wie aus den Ausgabelisten hervorgeht, wurde das zum Dessertgang so beliebte Konfekt zumindest teilweise gekauft Aber man konnte diese Köstlichkeiten durchaus selbst herstellen, dafür spricht ein eigenes Kapitel „Allerley zuckergeback / und andere sachen bei banquet“. Mit dem kostbaren Zucker wurde bei solchen Gelegenheiten nicht gegeizt:
Noch ein ander gengibras oder gebacken zucker zu machen
Nemmet ein halb pfundt zucker, ein viertheill loets gestoßen saffran, ein halb viertheill loets gestoßen , ein halb viertheill loets gestoßen muschaten blumen und ebenso viell caneill, dieß alles menget so trücken durcheinander, thuet eß in ein tartenpfanne oder steinen degell, gießet darauff ein wenig rosenwaßer, daß eß feucht werde, setzet dieß alstan beym fewr, laßet mäßig sieden und rühret eß steetz, damitt nicht anbrenne, wan eß dan anfangt abzutrücknen, so mußet ihn vom fewr abnemmen, und müeßen die holtzen steckspänekes im waßer liggen, daß sie recht naß werden, und stecket gemelte sachen damitt auß, wirdt eß viel zu hart, so setzet eß wieder auff kohlen und gießet ein wenig rosenwaßer darauff, und so offt ihr darauß etwas stechet, so mußet ihr das späneken in rosenwaßer naß machen, die außgestochene stücklein aber legget in ein zinnen zuvor mitt rosenwaßer benetzte schüßell.
NB. Den saffran reibet man mitt die gimber klein ehe man ihn zu den zucker mischet, und dießes ist schon versuchet und gerahten. Man kan auch woll allerley kraut hier ein thun, so zu der magen dienlich ist, wan man will.84
Schon diese wenigen Beispiele aus dem umfangreichen „Küchenbuch Hovestadt“ zeigen wohl, dass man um 1660 in den Adelskreisen Westfalens durchaus mit gehobener Tafelkultur vertraut war und sie auch pflegte. So wird es beim Besuch des Kurfürsten in Hovestadt sicher in dieser Hinsicht an nichts gemangelt haben.
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