Richter in Hovestadt beim Patrimonalgericht
Verstreute Nachrichten über das Patrimonalgericht der gräflichen Familie von Plettenberg- Lenhausen in Hovestadt, seine Richter und sonstige Gerichtsbeamten, das Ende des kurkölnischen Herzogtums Westfalen, die Zeit der Herrschaft des Hauses Hessen-Darmstadt und die Inbesitznahme des Amtes Oestinghausen durch das Königreich Preußen.
Im Jahre 1719 erwarb Friedrich Bernhard Wilhelm Frh. von Plettenberg zu Lenhausen das Haus Hovestadt und sonstige Lehn- und Allodialgüter zu Hovestadt und Merklinghausen mit dem Vorbehalt des Nießbrauchs für die Ehefrau des Gottfried Friedrich von Heyden, so dass erst 1733 der umfangreiche Besitz übernommen werden konnte.1
Friedrich Bernhard Wilhelm Graf von Plettenberg- Lenhausen zu Hovestadt ließ durch den münsterischen Baumeister Johann Conrad Schlaun das Schloßgebäude durch eine vorgebaute Galerie erweitern und die Vorburg durch vier gleichartige Gebäude und Brücken neu gestalten.2
Am 4. Januar 1741 erteilte der damalige kölnische Generalvikar Franz Caspar von Franken Sierstorpff der gräflichen Familie für die Dauer von 10 Jahren das Privileg zur Feier der heiligen Messe in der neu errichteten Kapelle. Im Jahre 1765 bat Josef Clemens von Plettenberg- Lenhausen zu Hovestadt den Kurfürsten von Köln, Max Friedrich von Königsegg- Rothenfeis um Genehmigung zur Errichtung einer Franziskaner-Mission in Hovestadt, die 1767 genehmigt wurde.3
Der Ort Hovestadt profitierte durch die Verlegung des Wohnsitzes der gräflichen Familie von Lenhausen nach Hovestadt, da die Verwaltung der umfangreichen Güter und die Ausübung der Rechte als Lehnsherr und Herr der Patrimonalgerichte zahlreiche Beamte in Hovestadt Wohnung nahmen und Besitz erwarben.4
Der Umfang der Güter und Gerechtigkeiten des inzwischen in den Reichsgrafenstand erhobenen Joseph Clemens von Plettenberg ergibt sich aus einer Urkunde von 1767, die mit folgender Aufzählung beginnt: "Joseph Clement und Maria Theresia Freiin von Weichs zu Körtlinghausen, des Heiligen Reichs Graf und Gräfin von Plettenberg, Sr. Churfürstlichen Gnaden zu Cölln wirklich geheimer Landes- und Kriegsrath, Droste der Ämter Neheim, Werl und Oestinghausen, Freiherr der Herrlichkeiten Hofstadt, Lenhausen, Mellrich und Bergstraße (= kleines Gebiet in der Stadt Werl), Essentho, Herr zu Frielendorp, Lohe, Hörn, Schwalbenloh, Weuspert und Dornheim...".5
Um 1720 dürfte der erste gräfliche Rentmeister Birckenheuer in Hovestadt ansässig geworden sein; um 1770 heiratet der gräfliche Rentmeister Johann Stephan Schirhölter Anna Elisabeth Linnenkamp gnt. Finken und erbaute ein neues Haus an der Schloßstraße. Auch ließ sich der Arzt Dr. N. Michael Riegg in Hovestadt nieder und errichte in dem genannten Haus eine Apotheke.6
Zwischen 1730 und 1740 dürfte auch das mit 14. Gefachen und einem mächtigen abgewalmten Dach ausgestattete Gebäude des 1775 verstorbenen Richters und Schatzrezeptors (= Steuereinehmer) Joan Wilhelm Löcke errichtet worden sein. Das Haus am Westausgang des Dorfes hat einen Keller mit Gefängniszellen. Es ist vergleichbar mit dem Haus der Hovestädter Schule und Lehrerwohnung (Haus Lammert und dem Rentmeisterhaus (heute Winterseel).7
In einer Urkunde von 1793 werden der in anderen Quellen genannte gräfliche Schatzrezeptor Joan Wilhelm Löcke, dessen Ehefrau Johanna Sophia geb. Cree aus Nordwald und deren Eltern Johan Christoph Cree und Anna Gertrudis Birkenheuer identifiziert. Letztere war die Tochter des gräflichen Rentmeisters Birkenheuer, die am 20.8.1747 in Nymwegen/NL Franciscus Ebbinckhuysen, den Stammvater der Hovestädter Apothekerfamilien Ebbinckhuysen heiratete. Dessen Sohn Anton Ebbinckhuysen heiratete am 18.11.1794 die Tochter des gräflichen Rentmeisters, Therese Schirhölter und ließ sich im Hause seines Schwiegervaters als Arzt und Apotheker in Hovestadt nieder.8
Nach dem Tode des Richters und Schatzrezeptors Joan Wilhelm Löcke um 1775 trat sein Sohn Everhard Löcke das Amt des Richters am gräflichen Patrimonalgericht in Hovestadt an; das Amt des Schatzrezeptors erhielt der gräfliche Rentmeister Schirhölter. Everhard Löcke übernahm auch den väterlichen Besitz des Richterhauses an der heutigen Bahnhofstraße in Hovestadt.9
Das Jahr 1802 brachte für das Herzogtum Westfalen einschneidende politische Veränderungen, die sich auch in Hovestadt bemerkbar machten. Noch bevor durch den Reichsdeptutationshauptschluß vom 25. Februar 1803 der Übergang der geistlichen Territorien an weltliche Herren auf Veranlassung Napoleons endgültig besiegelt wurde, nahm Ludwig X. Landgraf von Hessen- Darmstadt das bisher "kurkölnische Herzogtum Westphalen" in Besitz. Mit drei Bataillonen, Reiterei und Artillerie überschritt das Korps im Süden die Grenze des Herzogtums und erreichte am 8. September 1802 die Hauptstadt Arnsberg. Den Militärs folgten Anfang Oktober die Zivilkommissare, die das Herzogtum verwaltungsmässig für den neuen Herrscher in Besitz nehmen sollten.10
Am 6. Oktober 1802 erließ Landgraf Ludwig X. ein Okkupationspatent, durch das er die provisorische Inbesitznahme des Herzogtums verkündete und "Alle und jeden Eingesessenen des Landes zur Unterwerfung und zur Treue und Gehorsam ihm gegenüber aufforderte". Am 12. Oktober wurde die kurkölnische Zentralbehörde in Arnsberg aufgefordert, ihre Tätigkeit einzustellen. Am 13. Oktober erschienen je ein bevollmächtigter Kommissar mit Sekretär und Gehilfen in den vier Quartieren Werl, Rüthen, Brilon und Bilstein, in die damals das Herzogtum eingeteilt war, um in den einzelnen Orten die Zivilbesitzergreifung durchzuführen.11
Gegen die vorzeitige Besitzergreifung des Landgrafen von Hessen- Darmstadt hatte August Joseph Reichsgraf von Plettenberg- Lenhausen am 14. August 1802 aus der Landeshauptstadt Arnsberg einen Brief an die Richter seiner Patrimonalgerichte in Hofstadt, Lenhausen, Mellerich, Bergstraße, Essentho in seiner Funktion als kurkölnischer Erbkämmerer im Herzogtum Westfalen und Droste der Ämter Werl, Neheim und Oestinghausen gesandt. In diesem Schreiben wurde auf die Absicht des Landgrafen hingewiesen, dass ein "Corps darmstädtischer Truppen nebst einer Zivil Commission zur Besitznahme einrücken werde". Graf von Plettenberg erklärte, dass sich "hierdurch die bisherigen Verhältnisse zwischen Uns und Unseren Unterthanen keineswegs ändern werden... und dass die in Arnsberg versammelten Landstände zur Erhaltung der bisherigen Landesverfassung alle geeigneten Vorkehrungen treffen werden, um ihre gegen Kaiser und Reich... und hiesiges Land bestehenden Pflichten mit der schuldigen Devotion (Unterwürfigkeit) gegenüber dem Landgrafen von Hessen Darmstadt möglichst zu vereinen".
August Joseph Reichsgraf von Plettenberg- Lenhausen forderte seine Behörden und die Untertanen auf, gegen die zu erwartende Einquartierung von Truppen keinen Widerstand zu leisten, vielmehr "alle Unordnungen möglichst zu vermeiden und dem Militär keinen Anlass zu Beschwerden zu geben, sich allen politischen Bemerkungen zu enthalten... in keinem Falle Selbsthülfe erlauben... und so sich Ruhe und Frieden verschaffen".
Graf von Plettenberg- Lenhausen wies ausdrücklich seine Patrimonal- Richter an, "sich gegen eine Versiegelung der Gerichts- Registratur sowie gegen alle willkürlichen zu Unserem Nachteil gereichen könnende Einschreitungen fremder Civil- uns Militärbehörden Euch in Unserem Namen auf das feierlichste zu verwahren und darüber durch Notar und Zeugen eine Urkunde fertigen zu lassen".12
Es dürften in dem Gräflich Plettenbergischen Archiv in Hovestadt Unterlagen darüber vorhanden sein, wie sich Reichsgraf August Joseph, der Richter Everhard Löcke und dessen Beamte verhielten, als der zuständige Zivilkommissar und sein Sekretär, begleitet von einer Militäreinheit, in Hovestadt auf dem Schloss und im Richterhaus erschienen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat der Patrimonal- Richter Everhard Löcke sich gegen die Versiegelung seiner Akten und Unterlagen mit Erfolg gewandt, wie dies dem Schreiber des Gerichts Bergstraße in Werl durch Vorweisen des Briefes seines Gerichtsherren vom 14.8.1802 zunächst gelungen war.13
Der hessische Zivilkommissar Leußler suchte am 28. Oktober 1802 den in Neheim wohnenden gräflich Plettenbergischen Richter Dr. Clemens Correck auf und befahl ihm "unter Überreichung von zwei Okkupationspatenten, diese selbst im Bezirk Bergstraße zur Publikation zu bringen und über die Besitzergreifung ein Protokoll anfertigen zu lassen". Der gräfliche Richter Dr. Correck begab sich nach Werl und dort wurde am 31.10.1802 den "sämtlich Erschienenen das Patent unter Vorsitz des Gerichts und im Beisein eines 12köpfigen hessischen Militärkommandos nicht nur öffentlich vorgelesen, sondern auch unter Läutung der Glocke auf der Kapelle und Zurufung „Es lebender Landgraf von Hessen-Darmstadt, Unser Gnädigster Landesherr“ (das Patent) angeheftet, worauf noch eine Anrede zur Gehorsamspflicht und die Vereidigung auf den neuen Landesherren folgte. Die bisherigen Siegel wurden eingezogen und durch Siegel mit dem hessischen Löwen ersetzt, die bisherigen Titel der Offizialbeamten unter Wegfall des "Gräflich Plettenbergisch" weiter erlaubt. Die Besoldung der provisorisch weiter tätigen Beamten blieb beibehalten.14
Von der Änderung der Herrschaftsverhältnisse wurden die "Untertanen" in den Dörfern und Städten des Herzogtums Westfalen weniger als erwartet betroffen, dagegen verlor Graf August Joseph im Amt Oestinghausen sowie in seinen weiteren Ämtern Neheim und Werl weitgehend seine Rechte als Herr über seine Untertanen und musste befürchten, das weitere Rechte und Vorteile für immer verloren, gingen.
In Hovestadt behielten der Richter Everhard Löcke und seine Gerichtsbeamten ihre Ämter; sie waren nunmehr im Dienst der hessisch-darmstädtischen Landesregierung, die durch den Beschluss des Reichsdeputationshauptschlusses am 25. Februar 1803 auch formalrechtlich sanktioniert wurde. Die hessisch-darmstädtische Herrschaft sollte jedoch nur vierzehn Jahre dauern. Doch in diesen Jahren erfolgten in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, ab 1806 das Herzogtum Westfalen, entscheidende Reformen.15
Es waren dies: 1. eine Verwaltungsreform, 2. die Aufhebung der Landstände, 3. die Reform des Steuersystems, 4. die Einschränkung der Patrimonalgerichte, 5. die Reform der Agrarverfassung durch Aufhörung der Eigenhörigkeit und des Anerbenrechtes, 6. die Abschaffung des Zunftzwanges und die Einführung der Gewerbefreiheit und 7. die Verstaatlichung der Kommunalverwaltungen.15
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