I. Leben und Verehrung der heiligen Ida
1. Das Leben der heiligen Gräfin Ida von Herzfeld
Herkunft und Jugendzeit der Heiligen
Für das Leben der heiligen Ida haben wir eine zuversichtliche geschichtliche Quelle in der Lebensbeschreibung des Benediktinermönches Uffing vom Kloster Werden in Westfalen. Wie er schreibt, war er selbst dabei zugegen, als sein Abt Liudolf von der am 26. November 980 erfolgten Heiligsprechung Idas die kostbare Reliquie ihres Hauptes mitbrachte und diese von den Mönchen des Klosters am 1. Dezember desselben Jahres feierlich in Empfang genommen wurde. Kurz darauf begann er im Auftrage seines Abtes, auf unverwüstlichem Pergament und mit feiner kunstvoller Handschrift, in einem wohlverständlichen Latein, alles niederzuschreiben, was er von dem Leben und der hohen Tugend der Heiligen hatte in Erfahrung bringen können. Und in der Vorrede zu dieser „Vita" versichert er, daa er bei seiner Arbeit ganz „der Linie der historischen Wahrheit" gefolgt sei. - Es ist leider sehr wenig, was uns Uffing über die edle Herkunft, das Elternhaus und die Jugendjahre der Heiligen zu erzählen weiß. Er kennt weder den Namen ihrer Eltern noch gibt er uns das Jahr ihrer Geburt an. Wir erfahren nur, daß sie Sproß eines hohen Adelsgeschlechtes war, zur Zeit des „großen Königs Karl" lebte und dem edlen Geschlecht der heiligen Jungfrauen Odilia und Gertrud entstammte, deren natürliche Neigung zu Frömmigkeit und Tugend ihr darum gleichsam angeboren war. Ihr Vater war „einer der ersten Fürsten jener Gegend", des lieblichen Rheinlandes zwischen Aar und Ruhr, das damals inmitten des weiten Frankenreiches lag und den Namen „Ripuarien" trug. Dieser angesehene und von Karl dem Großen hochgeschätzte Fürst konnte kein anderer als Graf Theoderich gewesen sein, der sich als Feldherr in den blutigen Sachsenkriegen hohe Verdienste erworben und darum die besondere Gunst seines Königs erlangt hatte. Dieser war mit Theodrada, einer Tochter des Grafen Bernard vermählt, der hinwiederum ein nicht ebenbürtiger Bruder König Pippins und somit der Onkel Karls des Großen war. Ida stand also durch ihre Mutter in näherer verwandtschaftlicher Beziehung zu dem machtvollen Herrscher des Frankenreiches, der auch gar bald in ihrem Leben eine bedeutsame Rolle spielen sollte. Und wie sehr auch Theodrada, Idas Mutter, dem Himmlischen zugewandt war und sich durch eine tiefe christliche Frömmigkeit auszeichnete, erkennen wir daraus, daa sie nach dem Tode ihres Gemahls um das Jahr 804 die Welt verließ und in das Marienkloster zu Soissons eintrat, wo sie als Äbtissin ihre letzten Lebensjahre zubrachte. So mag sie gewiß auch gemeinsam mit ihrem Gemahl eifrig besorgt gewesen sein, die zarten Keime der Gottesliebe in die Seele ihrer „einzigen und geliebten Tochter" einzupflanzen und zur vollen Entfaltung zu bringen. „Lieblich von Antlitz und von schöner Gestalt", aber noch mehr mit den edelsten Geistesgaben und vortrefflichsten Charaktervorzügen ausgestaltet, verlebte Ida so eine ungetrübte Kindheit und war die Freude und der Stolz ihrer guten Eltern. Und wir dürfen keinen Zweifel darüber hegen, daa diese ihrer geliebten Tochter auch eine ihrem hohen Stande angemessene Ausbildung und Erziehung zuteil werden ließen.
So wird sie ganz gewiß dem Brauche der damaligen Zeit entsprechend auch einige Jahre in einer der berühmten klösterlichen Bildungsstätten - sei es in Nivelles oder auf dem Odilienberg - im Verein mit gleichaltrigen Töchtern aus adeligen Fürstenhäusern zugebracht haben, wo sie nicht nur ihren Bildungsstand noch weiter heben, sondern vor allem auch unter weiser und kundiger Führung der Ordensfrauen ihr religiöses Innenleben noch reicher entfalten und die schönsten Blüten und Früchte echter Tugend und Heiligkeit hervorbringen konnte. Und' wird nicht vielleicht auch in der Stille und Abgeschiedenheit des Klosters der Entschluß in ihrem Herzen herangereift sein, sich für immer dem Dienste Gottes im heiligen Ordensstande zu weihen? Da griff jedoch die Hand der göttlichen Vorsehung ein, um ihrem Leben eine ganz andere und entscheidende Wendung zu geben.
Bewährung im Dienste christlicher Nächstenliebe
Es war im Jahre 792, als ein westfränkischer Aufstand Kaiser Karl dazu zwang, seine Truppen in Sachsen zu den Waffen gegen die Empörer aufzurufen. Unter den Anführern dieses Aufgebotes befand sich der edle Graf Egbert aus Westfalen, der von Karl wegen seiner Treue und Tapferkeit besonders hochgeschätzt wurde. Es fügte sich aber, daß dieser vor seinem Einsatz im Kriege schwer erkrankte. Darum wurde er vom Kaiser selbst auf seinem Zuge nach Westfranken in das Haus des in Mittelfranken ansässigen Grafen Theoderich gebracht. Und gern erklärte sich Karls Verwandte Theodrada, Theoderichs Gemahlin, bereit, für eine gute Pflege des dem Kaiser treu ergebenen Feldherrn Sorge zu tragen. Und in Ida, der Tochter des Hauses, zu einer Jungfrau von 17 Jahren erblüht, fand Egbert die beste und liebevollste Pflegerin, die er sich nur wünschen konnte. Innigstes Mitleid mit den Leiden und Schmerzen des Schwererkrankten erfüllte ihre Seele. Sie scheute darum keine Mühe und Sorge, „geeignete Linderungsmittel für seine Schmerzen herbeizuschaffen" und den edlen Grafen in der aufopferndsten Weise zu pflegen. Egbert zeigte „innige Freude an dieser trostreichen Hilfe", die ihm, dem Fremdling aus Sachsen, die edle fränkische Fürstentochter in uneigennütziger Sorge gewährte. Darf es uns daher wohl verwundern, wenn das Herz des Grafen durch den Anblick des Mädchens und ihre rührenden Bemühungen um seine Gesundheit gar bald von einer tiefen Zuneigung zu ihr erfüllt wurde und der sehnlichste Wunsch in ihm erwachte, sich mit Ida zum Bunde für das ganze Leben zu vermählen und sie als getreue Gattin heimzuführen auf seine Güter in Westfalen. Seine Stammburg lag in der Nähe des Stiftes Osnabrück
Vermählung mit Graf Egbert und Reise nach Westfalen
Inzwischen hatte Kaiser Karl den westfränkischen Auf stand glücklich unterdrückt und den Frieden wiederhergestellt. Als er nun auf der Heimreise bei Theoderich vorsprach, um sich nach dem Befinden seines kranken Feldherrn umzusehen, konnte er mit großer Freude die glückliche Genesung seines wackeren Gefolgmanns feststellen. Aber wovon das Herz voll ist, fließt der Mund über. Egbert erzählte dem Kaiser, welch sorgsame und liebevolle Pflege er durch die Hand Idas, der Tochter des Hauses, erfahren habe und wie sehr dies zu der schnellen Wiederherstellung seiner Gesundheit beigetragen habe. Auch vermochte er nicht dem Kaiser den innigsten Wunsch seines Herzens zu verschweigen, sich mit der durch edelsten Anstand und hohe Tugend ausgezeichneten Jungfrau zu vermählen und sie als seine Lebensgefährtin mit in seine geliebte Heimat zu nehmen. Mit Freude stimmte Karl dem Plane seines Feldherrn zu und es war ihm ein Leichtes, hierzu auch die Einwilligung Idas und den Segen ihrer teuren Eltern zu erlangen. Überdies bewies der Kaiser dem sächsischen Grafen seine Hochschätzung und Huld in der freigebigsten Weise. Er erhob ihn zum Herzog und Gaugrafen aller Sachsen zwischen Rhein und Weser und stattete ihn mit einer Reihe königlicher Lehensgüter aus, die in der Nähe der Stadt Susatum (Soest) an der Lippe gelegen waren. So sollte Graf Egbert, nach Uffings Erzählung, „der durch den nahen Einfluß des Schwiegervaters schon ziemlich beliebt geworden war, auch bei den Bewohnern jener Gegenden sich durch ebenso großes An sehen auszeichnen als in seinem Heimatlande". Wie schwer mag Ida, die in allem Gottes Anordnung und Fügung erblickte, dennoch der Abschied von den geliebten Eltern gefallen sein! Aber sie wußte, daß Egbert „in hohem Maße fromm gesinnt war und seine tief christliche Braut mit Gottesfurcht empfangen hatte". Darum reichte sie ihm vertrauensvoll ihre Hand zum Bunde fürs ganze Leben und war bereit, ihm in Glück und Unglück, in freudvollen wie auch in leidvollen Tagen als liebende Gefährtin zur Seite zu stehen und überallhin treue Gefolgschaft zu leisten. Egbert beschloß nun, vom Hause Theoderichs und den geliebten Schwiegereltern Abschied zu nehmen und mit seiner neuvermählten Gattin in die Heimat zurückzureisen. Auf dem Wege dorthin wollte er aber zugleich auch die von Kaiser Karl erhaltenen Güter besichtigen und für deren gute Verwaltung und Bewirtschaftung Sorge tragen. So wurde das junge Paar „von der ganzen Verwandtschaft ehrenvoll entlassen". Egbert aber bewahrte allezeit in seinem Herzen die Erinnerung an die wunderbaren Fügungen Gottes und den so glücklichen Ausgang des Heereszuges im Gefolge seines Königs, „voll des heißen Dankes gegen seinen Erlöser".
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