Um die Anfänge des Krankenhauses in Hovestadt richtig zu verstehen, ist ein Blick in die sozialen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts notwendig. Damals erfolgten vielschichtige gesellschaftliche Veränderungen, die die Lebensformen der Menschen beeinflussten. Sie wurden ausgelöst durch den Fortschritt der technischen Entwicklungen in der damaligen Zeit.
Die fortschreitende Industrialisierung schuf ausgedehnte Fabrikanlagen und lockte die Menschen an. So entstanden große Industriestädte, in denen sich die Arbeiter mit ihren Familien ansiedelten, um an den neuen Lebensmöglichkeiten teilzuhaben, ihren Lebensstandard zu verbessern, eben um ihr Glück zu suchen. Doch viele dieser hoffnungsfrohen Menschen erfuhren das Gegenteil. Sie merkten bald, dass der Gewinn des Fortschritts nicht für alle da war.
So mussten sie erleben, dass ihre Arbeitskraft durch billige Löhne ausgenutzt wurde. Sie wohnten in primitiven Verhältnissen und genossen keine sozialen Absicherungen. Das brachte sie im Krankheitsfall und im Alter oft in große Not. Zudem haften sie keinen gesetzlichen Schutz, um ihre Rechte einzuklagen.
Auch auf dem Lande war die soziale Not weit verbreitet. Der damalige Geistliche in Hovestadt, Vikar Bernhard Bolzau, beschreibt die Situation in seiner Gemeinde in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts wie folgt:
»In den 15 Jahren meines Hierseins habe ich oft Gelegenheit gehabt, Kranke in dem tiefsten Elende zu sehen. Außer den vielen wirklichen Armen gibt es nämlich hier sehr viele, welche, so lange sie gesund sind, sich und die Ihrigen notdürftig ernähren können, sobald sie aber von Krankheit heimgesucht werden, dem größten Elende alsbald preisgegeben sind. Da liegen dann sehr oft solche bedauernswerte Kranke in elenden Hütten, die kaum gegen Wind und Regen Schutz gewähren, in Betten, die weiter nichts sind, als etwas Stroh und einige schlechte Lumpen, gepeinigt von Schmerzen und aller, auch der notwendigsten Pflege entbehrend.«
Es gab damals auch Kräfte, die ihre Stimme gegen die sozialen Ungerechtigkeiten erhoben.
Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) verkündeten 1848 das »Kommunistische Manifest«. Ihr Ziel war eine freie, gleichberechtigte und sozial abgesicherte Gesellschaft. Auch in der Kirche gab es zu dieser Zeit Männer, wenn auch zunächst als Einzelkämpfer, die sich für eine soziale Gerechtigkeit einsetzten. Es sei erinnert an den Mainzer Bischof Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811-1877), der als Abgeordneter des Deutschen Reichstags sich mutig für die sozialen Belange der Bauern, Kleinhändler und Arbeiter einsetzte. Als weiterer ist Adolf Kolping (1813-1865) zu nennen, der durch die Gründung von Gesellenvereinen sich der werktätigen männlichen Jugend annahm, die oft in elenden Quartieren wohnte.
Karl Marx Friedrich Engels Freiherr v. Ketteler Adolf Kolping Briefmarke vom Briefmarke vom Briefmarke vom Briefmarke vom 29. 04. 1968 27. 11 1970 22.12.1961 26.05.1965 (D. Bundespost) (Ebenda) (Ebenda) (Ebenda)
Er versuchte, diesen jungen Menschen sittlichen und religiösen Halt zu geben. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Kirche offiziell Stellung zur sozialen Frage. Papst Leo XIII. (1878-1903) schrieb im Jahre 1891 seine Sozialenzyklika »Rerum novarum«, ein wegweisendes Reformprogramm für eine gerechte und soziale Gesellschaftsordnung aus christlicher Sicht.
Doch bevor die Kirche sich ihrer Verantwortung auf sozialem Gebiet voll bewußt wurde, gab es bereits Kräfte, die sich bemühten, der sozialen Misere an der Basis zu begegnen. Es waren die weiblichen Genossenschaften und Kongregationen, die in vielfachen Formen entstanden. Sie formierten sich als religiöse, klösterliche Gemeinschaften und hatten einen enormen Zulauf. Im Geiste christlicher Liebe waren sie ein Segen für arme, kranke und alte Menschen, da sie selbstlos lebten und wirkten.
Zu diesen Gemeinschaften mit ihren neuen Formen des Ordenslebens gehört auch die Genossenschaft der Krankenschwestern des heiligen Franziskus von St. Mauritz/Münster, deren Schwestern in Hovestadt tätig waren. Das St.-Ida-Hospital in Hovestadt ist eine ihrer ersten Gründungen.
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