HEERSTRASSE und POSTWEG an der Lippe
von Dr. Wilhelm Kemper
Quelle: Heimatkalender des Kreises Soest,  36. Jahrgang,  1963

Straßen sind uralt, vielleicht so alt, wie es größere menschliche Gemeinschaften gibt, angelegt aus Notwendigkeit, Instinkt und Erfahrung, dienend friedlichem Verkehr und kriegerischen Eroberungszügen. Im Moor des Federsees bei Buchau in Württemberg ist ein Wagenrad gefunden worden, das nach Schätzung der Fachleute 25 000 Jahre alt ist; so lange also fahren schon auf unseren Straßen Wagen. Es ist aber ein weiter Weg von den ersten gebahnten Pfaden bis zu den Fernstraßen, den Autobahnen unserer Tage. Es dürfte die Auffassung stimmen, daß die Straßenführung um so jünger ist, je mehr sie sich der Geraden nähert, und umgekehrt. Die Straße von Eickelborn nach Soest, die der Postautobus benutzt, hat so viele Krümmungen, daß man eine sehr alte Straßenführung annehmen darf.

In unserer Gegend ist es vor allem der Hellweg, der unser Interesse findet, die heutige Bundesstraße 1, die zur Zeit des Deutschen Reiches als Reichsstraße 1 von Aachen bis zur ostpreußisch-russischen Grenze führte, eine geschichtsträchtige Straße, die seit der Zeit Karls des Großen, aber auch schon vorher, besonders aber auch in der Zeit des Mittelalters, von größter Bedeutung gewesen ist. Es gibt aber in unserer Gegend noch eine andere Straße, die zwar heute zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist, in früheren Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden, eine ähnliche Rolle gespielt hat wie der Hellweg: die alte Heerstraße an der Lippe.

Um die Bedeutung der Straßen in der Vergangenheit zu erkennen, haben wir zwei Quellen: die schriftlichen Urkunden, die hier etwa 2 000 Jahre zurückreichen, und die Vorgeschichtsforschung, die mit dem Spaten den Boden nach Resten der Vergangenheit durchsucht. Mit den Urkunden, den erhaltenen Werken der römischen Geschichtsschreiber, tritt unsere Gegend in das helle Licht der Geschichte; es war um die Zeitwende, zur Zeit des Kaisers Augustus, in den Jahrzehnten der Begegnung der Römer und Germanen.

Der große römische Staatsmann, Feldherr und Schriftsteller Julius Cäsar, hatte in den Jahren 58 bis 51 v. Chr. Gallien, das heutige Frankreich, erobert, die Grenze des Römischen Reiches bis an den Rhein vorgeschoben und damit auch die linksrheinisch wohnenden Germanenstämme unterworfen. Dann hatte der römische Heerführer Drusus, ein Stiefsohn des Kaisers Augustus, das Gebiet der Alpen, das heutige Österreich und Süddeutschland dem Römischen Reiche einverleibt. Nun beschloß Kaiser Augustus, auch dem rechtsrheinischen Germanien, von den Römern als Groß-Germanien bezeichnet, dasselbe Schicksal zu bereiten und beauftragte den bewährten Heerführer Drusus mit dieser Aufgabe. Drusus löste die gestellte Aufgabe in vier Feldzügen, die er in den Jahren 12 bis 9 v. Chr. führte. Schon der erste Feldzug führte ihn in unsere Gegend.
Drusus zog vom Standlager Castra vetera (Birten bei Xanten) die Lippe aufwärts, die als Transportweg für Lebensmittel und Nachschub benutzt wurde. Aus den Berichten der römischen Schriftsteller und den aufgefundenen Lagern läßt sich der Marschweg der Legionen feststellen. Solche Lager sind in Holsterhausen bei Dorsten (erst 1950 entdeckt), bei Haltern auf dem Annaberg und bei Oberaden freigelegt worden. Weiter ostwärts ziehend, kamen dann die Römer auch durch unsere Gegend, von Hamm kommend durch Hultrop-Pockes/Ecke - Hovestadt - Eickelborn - Benninghausen - Hellinghausen - Lippstadt und weiter nach Osten bis zum Teutoburger Wald und bis zur Elbe. Einzelfunde bestätigen diesen Weg.
Etwa alle 1000 Doppelschritt legten die Römer einen Wachtturm an, eine Warte, die mit einigen Legionären besetzt war und zur Sicherung der Marschstraße diente. Wie eine solche Warte ausgesehen hat, wissen wir aus einer Abbildung auf dem Titusbogen in Rom. Die oberirdischen Teile der Warten sind verständlicherweise verschwunden; die Erdreste aber einer solchen Warte haben sich in der Benninghauser Heide, östlich des Dorfes Benninghausen, bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges erhalten; 1915/16 sind die Sandhügel, auf denen der Wartturm gestanden hat, von französischen Kriegsgefangenen abgetragen und ist das Gelände eingeebnet worden. Diese Parzelle, 41,56 ar groß, hochwasserfrei, ist bei der Aufteilung der “Gemeinheit Heidegrund" im Jahre 1864 wegen seiner Unfruchtbarkeit nicht wie die anderen Parzellen an die umwohnenden Bauern verkauft worden; die Parzelle befindet sich noch heute im Besitz der Gemeinde Benninghausen, ein Beispiel dafür, wie Ereignisse vergangener Jahrtausende bis in die Gegenwart nachwirken.

Wachturm





                         Nachbau eines römischen Wachturms.

   
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Auf dieser Heerstraße sind wahrscheinlich auch jene Legionen des Varus gezogen, denen der Cheruskerfürst Hermann, von den Römern Arminius genannt, in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. ein furchtbares Ende bereitete. Weitere Feldzüge der Römer, Siege und Niederlagen! Im Jahre 16 n. Chr. gaben die Römer endgültig ihre Eroberungsabsichten auf Groß-Germanien auf. Ob in diesen Feldzügen auch schon der Hellweg eine Rolle gespielt hat, ist nicht sicher zu sagen. Ob die Heerstraße an der Lippe in den Jahrhunderten der Völkerwanderungszeit eine Rolle gespielt hat, ist ebenso ungewiß.

Aus der „Geschichte von Hovestadt", die der im Ersten Weltkrieg gefallene Graf Friedrich August von Plettenberg verfaßt hat und die nur auszugsweise veröffentlicht ist, ergibt sich für die Heerstraße an der Lippe folgendes: Der Frankenkönig Pippin hat auf seinen Feldzügen in den Jahren 738 und 758 die Heerstraße benutzt, vielleicht auch Karl d. Große in seinem Krieg gegen die Sachsen, der nicht weniger als 32 Jahre gedauert hat; wahrscheinlich hat sie auch in den Kriegen und Fehden des Mittelalters eine Rolle gespielt, als die Burg Hovestadt kurkölnische Festung zur Deckung des Lippe-Überganges war. Im Dreißigjährigen Krieg zogen hier öfter Truppen der verschiedensten Heerführer durch, auch im holländischen Krieg (1672 bis 79), im pfälzischen Krieg (1680 bis 97), im spanischen Erbfolgekrieg (1701 bis 13) und im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 63), in welchem unsere Gegend sozusagen im Mittelpunkt des Weltgeschehens stand, als am 15. Juli 1761 die Schlacht bei Vellinghausen stattfand, über die anläßlich der 200jährigen Wiederkehr des Tages der Schlacht bei der Gedenkfeier und in der Presse ausführlich berichtet worden ist. Der in der Schlacht besiegte französische Marschall hat in der Nacht vor dem Schlachttage im Schloß Hovestadt übernachtet und sich nach der Schlacht mit den Trümmern seiner Armee an der St. Anna-Kapelle in Nordwald versammelt. 1806 zogen die Franzosen auf dem Weg nach Preußen hier vorbei und 1813  die Reste der Großen Armee, die in Rußland geschlagen war. Was unsere Gegend bei diesen Durchzügen an Gut und Blut gelitten hat, darüber ist anläßlich des Gedenktages der Schlacht von Vellinghausen ausführlich berichtet worden. Dann hörten die Truppendurchzüge auf bis 1945, als die Amerikaner kamen.

In all den Jahrhunderten hatte die Heerstraße an der Lippe kaum eine besondere Befestigung erhalten, bis zu Beginn des vorigen Jahrhunderts die Zeit des modernen Straßenbaues kam und auch allmählich Teile des Heerweges chaussiert wurden, die Straße von Hovestadt nach Eickelborn erst im Jahre 1927. Man kann es sich kaum noch vorstellen, daß diese heute von lebhaftem Verkehr durchflutete Straße noch vor wenigen Jahrzehnten ein unbefestigter Sandweg gewesen ist.

Während Erinnerungen an die alte Heerstraße an der Lippe und an allem, was sie für frühere Generationen an Not und Leid gebracht hat, kaum noch im Volksbewußtsein vorhanden sind, hat sich die Erinnerung daran, daß diese Straße einst ein wichtiger Postweg gewesen ist, schon eher erhalten. Es gibt an dieser Straße mehr als

 

 

 

 

     Die Schoneberger Heide, vom alten Postweg   
     durchschnitten
                                      Aufnahme:  Gregor Kierblewski