Die Kesseler Mühle und ihre Pächter
Die Funktion und Entwicklung der Mühle in Kesseler ist nur im Zusammenhang mit ihren Pächtern zu verstehen. Ihre Arbeit und ihr Handeln bestimmten die Existenz der Mühle in allen Bereichen. Ob es die Verwaltung, die Leitung oder die Wirtschaftlichkeit der Mühle war, hing weitgehend von den Pächtern ab. Der folgende Abschnitt will aus dieser Sicht die Entwicklung der Mühle zeigen.
In früher Zeit wurde die Kesseler Mühle von Eigenhörigen bzw. Bediensteten der jeweiligen Lehensinhaber bewirtschaftet. Nach dem Erwerb der Herrschaft Hovestadt durch die Familie des Grafen von Plettenberg in Lenhausen, die 1733 nach Hovestadt übersiedelte, trat eine Änderung ein. Zu den Gütern von Hovestadt gehörte auch der Schultenhof und andere Höfe in Herzfeld sowie die Kesseler Mühle. Ein erster Pachtkontrakt datiert vom Jahre 1756. 1828 wird die Familie Fork als Pächterin genannt.
Der am 15. Juli 1809 in dem kleinen sauerländischen Ort Schliprüthen geborene Sohn Heinrich des Bauern Caspar Rhode erlernte das Müller- werk. Als er im Kirchdorf Schönholthausen am 21. August 1838 die in Weringhausen am 13. April 1810 geborene Theresia Spanke heiratete, stand er im Dienst der gräflichen Familie von Plettenberg in Lenhausen. Anfang 1844 bot man ihm die Pachtung der Getreide- und Ölmühle und der 1829 errichteten Gaststätte im münsterländischen Kesseler an der Lippe an. Heinrich Rhode legte bei der Übernahme der Mühle und Gaststätte in Kesseler im April 1844 ein Anschreibebuch an, in dem er für Bauern und Fuhrleute den Mahllohn für Gerste, Schweine- und Mengkorn aber auch Ölschlagelohn und den Verkauf von Ölkuchen verzeichnete, der oft erst am Jahresende abgerechnet wurde. Aber auch Bier- und Branntwein- sowie Kaffeelieferungen für die Gaststätte wurden notiert.
Der Pachtbetrieb des Heinrich Rhode ernährte nicht nur die große Familie – nach dem am 21. Juni 1839 in Lenhausen geborenen Sohn Franz kamen in Kesseler in den Jahren 1844 bis 1859 noch siebenKinderzurWelt – sondern er betätigte sich auch seit 1850 bis zu seinem Tode am 16. Juli 1862 als Bankier und verlieh gegen Schuldschein Darlehn bis zu 400 Reichstaler zu 4% Jahreszins und legte Kapital bei den Sparkassen in Hovestadt und Beckum an.
Sein Sohn Franz übernahm 1862 Mühle und Gastwirtschaft und führte das Anschreibebuch weiter. Er heiratete in der alten Kirche zu Herzfeld am 4. September 1872 die am 4. Januar 1853 in Kesseler geborene Maria Hunke. Seine drei Schwestern konnte er bei ihrer Heirat mit ihrem Kindesteil von je 510 Reichstalern abfinden. In den Jahren 1874 bis 1885 wurden fünf Kinder geboren. Als Franz Rhode am 20. August 1887 starb, musste seine Frau mit den minderjährigen Kindern Mühle und Gaststätte allein führen.
Ansichtskarte vom 26. September 1905.
Am 1. August 1888 heiratete der um 20 Jahre jüngere Bruder des Verstorbenen, der am 22. Juli 1859 geborene Johann Georg Rhode, die Witwe Maria Rhode und führte die Mühlen und die Gaststätte weiter. Zu den fünf Kindern aus erster Ehe wurden 1889 und 1892 noch zwei Töchter geboren. Johann Georg Rhode starb im Alter von nur 36 Jahren am 18. August 1895. Seine Witwe führte den Pachtbetrieb weiter und wurde unterstützt von dem am 15. Juli 1879 geborenen Sohn Georg aus erster Ehe.
Georg Rhode notierte in dem Anschreibebuch der Familie: »Am 25. November 1890 hatten wir Hochwasser. Es stand vor dem untersten Stein vor der Tür des Hauses. In demselben Jahr wurden die beiden Durchstiche 6 und 7 gemacht und die Elisabeth-Schleuse fertig gestellt«. Er notierte weiter: »Ich, Georg Rhode, am 10. Oktober 1899 bei der 3. reitenden Batterie des Westfälischen Feldartillerie-Regiments Nr. 2 Düsseldorf-Derendorf eingetreten. Am 10.10.1901 zum Gefreiten befördert und am 30. Oktober 1901 zur Reserve entlassen«.
Georg Rhode erlebte den totalen Umbruch im Mühlengewerbe, der mit der Entwicklung der Dampfkraft-Maschinen und der elektrisch betriebenen Klein- und Großmühlen eine ernsthafte Konkurrenz für die mit Wasser- oder Windkraft betriebenen Mühlen darstellte.
Offensichtlich waren in den Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wichtige Investitionen in den Mühlenanlagen unterblieben. Schon um 1900 musste der Betrieb der Ölmühle eingestellt werden. Von den drei Mahlgängen der Getreidemühle war nur noch der mittlere Mahlgang nutzbar. Georg Rhode verhandelte in dieser Situation mit dem Rentmeister der gräflichen Gutsverwaltung über den Umbau der Mühle mit Turbinenantrieb, um die Wasserkraft besser nutzen zu können. In den Jahren 1912 und 1913 war die Mahlleistung auf 4700 Zentner jährlich gesunken, so dass bei einem Mahllohn von 30 Pfennig je Zentner Getreide das Bruttoergebnis von 1400 Mark nicht mehr ausreichte, um die laufenden Kosten von 300 Mark, den Mindestlohn des Müllers von 800 Mark und eine angemessene Pacht zu erzielen.
In zwei Verträgen verkaufte Graf Josef Walter von Plettenberg Lenhausen am 14. Januar 1914 das Wasserkraftrecht und die Mühleninsel mit den aufstehenden Mühlengebäuden an das Preußische Kanalbauamt in Hamm. Für den Müller Georg Rhode wurde das Preußische Kanalbauamt in Hamm der neue Verpächter. Für das Wohnhaus der Familie Rhode mit der Gastwirtschaft blieb das Pachtverhältnis mit der gräflichen Familie von Plettenberg in Hovestadt bestehen.
Georg Rhode war bereit, mit dem Preußischen Kanalbauamt in Hamm einen neuen Vertrag unter der Bedingung zu schließen, dass die Schäden an der Mühlenanlage behoben würden. Ein Kostenvoranschlag vom Mai 1914 in Höhe von 6.400 Mark war nicht ausreichend. Ein weiterer Voranschlag in Höhe von 13.200 Mark für Ausbesserungsarbeiten am Gebäude, dem Mahlgerinne und die Anschaffung eines neuen Wasserrades und zweier Mahlgänge vom 31. Oktober 1914 blieb ein Stück Papier. Der Bruch eines schweren Tragbalkens der Getreidemühle wurde provisorisch behoben. In den Jahren des Ersten Weltkrieges blieb die Mühle geschlossen.
Ein neuer Kostenvoranschlag vom 3. April 1919 mit einem Gesamtbetrag von 50.000 Mark – darunter der Einbau eines 2,5 Meter breiten und 5 Meter im Durchmesser großen eichenen Wasserrades – wurde von der zuständigen Aufsichtsbehörde in Essen »wegen zu hoher Kosten« nicht genehmigt.
Nach mehr als fünf Jahren vertragsloser Zeit wurde am 22. September 1919 zwischen dem Vorstand des Preußischen Kanalbauamtes in Hamm und dem Pächter Georg Rhode ein unbefristeter Pachtvertrag geschlossen. Danach wird »die Lippemühle in Kesseler nebst der Wasserkraft« für jährlich 200 Mark verpachtet. Für das erste Pachtjahr sind nur 20 Mark zu zahlen, dafür ist der Pächter zur Instandsetzung des mittleren Mahlganges der Getreidemühle verpflichtet.
Am 7. August 1924 meldete der Müller Rhode dem Preußischen Kanalbauamt in Hamm, dass »der obere Korngang der Getreidemühle von dem Tragbalken geglitten und in das Mühlengerinne gefallen und die Arbeit in dem Gebäude der Getreidemühle lebensgefährlich sei«.
Georg Rhode bat darum, das Gebäude der längst stillgelegten Ölmühle für die Aufstellung einer elektrisch betriebenen eigenen Mühlenanlage pachten zu können. Die etwa 450 Jahre nachgewiesene Nutzung der Wasserkraft in der Kesseler Mühle fand damit ein Ende.
Gasthof »Kesseler Mühle« und Klappbrücke über den Schleusengraben, etwa 1925.
Zwischen dem Preußischen Staatsfiskus (Lippebauverwaltung), vertreten durch den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen – Wasserbaudirektion – in Münster und Georg Rhode wurde am 1. Januar 1926 ein Vertrag über die Nutzung des Ölmühlengebäudes geschlossen. Der Mietzins wurde auf monatlich 25,-- RM für das erste und auf 50,-- RM monatlich für die folgende Mietzeit festgesetzt. Georg Rhode versuchte nun, sich aus dem Vertrag von 1919 über die Nutzung der Getreidemühle und des Wasserkraftrechtes zu lösen. Am 1. Februar berichtete er von einer »Hochflut« und lud den Leiter des Wasserbauamtes zu einer Besichtigung der von ihm angeschafften elektrisch betriebenen Mühlenanlage im Gebäude der Ölmühle ein.
Am 3. Juli 1928 besichtigten die Regierungsbauräte Conradt und Huschke die Mühlenanlage in Kesseler. Aus den Protokollen und Berichten an den Preußischen Minister für Handel und Gewerbe in Berlin geht hervor, dass das Wasserkraftrecht der Ölmühle bereits seit dem Jahre 1900 und das Wasserkraftrecht der Kornmühle seit dem 1. Februar 1926 nicht mehr genutzt wurde. Die Einrichtungen beider Mühlen seien ausgebaut; die vom Pächter betriebene Mühle werde durch elektrischen Strom, der von den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen bezogen werde, betrieben.
Gasthof »Kesseler Mühle«. Zustand etwa 1930.
Am 25. März 1930 beantragte der Müller Georg Rhode die Senkung des jährlichen Pachtzinses von 600,-- auf 300,-- RM. In der Begründung führte Rhode aus: »Der Kleinmüllerbetrieb hat in den letzten Jahren einen großen Rückgang erlitten, so dass der hiesige Betrieb bei hohen Unkosten seinen Mann nicht mehr ernähren kann«.
Nach umfangreichem Schriftverkehr wurde zum 1. November 1930 ein neuer Pachtvertrag mit einer Monatsmiete von 35,-- RM abgeschlossen. Durch die vierte Notverordnung vom 8. Dezember 1931 ermäßigte sich die Pacht um 10 %, so dass Georg Rhode ab dem 1. Januar 1932 nur noch eine Pacht von 31,50 RM zu entrichten hatte. Eine weitere Reduzierung der Pacht auf monatlich 20,-- RM wurde am 30. August 1933 von der Wasserbaudirektion in Münster genehmigt
Das Angebot der Großmühlen und das des Landhandels von fertigem Mischfutter für die Tiermast führte zum wirtschaftlichen Niedergang der kleinen Mühlen. Hiervon war auch die Mühle in Kesseler betroffen. Für die Familie Rhode blieb der Betrieb der Gastwirtschaft, der durch den wachsenden Ausflugsverkehr in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts einen bescheidenen Lebensunterhalt ermöglichte.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Mühlenbetrieb endgültig eingestellt.
Mühle, Gaststätte, Lippe und Schleusenbrücke. Zustand etwa 1950.
Die Eltern des jetzigen Mühlenwirtes Walter Pöpsel, waren Angestellte des Grafen von Plettenberg Lenhausen in Hovestadt. Hermann Pöpsel war dort Gutsverwalter und seine Frau Katharina Köchin. Ihre Zuverlässigkeit veranlasste den Grafen, seinen Gasthof an der Kesseler Mühle an das Ehepaar Pöpsel zu verpachten. 1940 konnten die Pächter den Gasthof nach vielen Umbauarbeiten und Renovierungen in Betrieb nehmen. 1955 ging der Grundbesitz in Eigentum über.
Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts erwarb Wilhelm Konert das Gebäude der alten Ölmühle und baute es zu einem Wohnhaus um. Das große Kornmühlengebäude war bereits 1937 abgebrochen worden. Mehr als 450 Jahre hatte die Mühle, vom Stauwasser der Lippe getrieben, bestanden. An die Mühle erinnert heute nur noch die Gaststätte zur »Kesseler Mühle«.
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