Die Chronik der Familie Kleine

Johann. Caspar Henrich Kleine
1730 bis 1785

Johannes Caspar Henrich Kleine, geb. 3. Februar 1730 zu Soest gestorben 8.6.1785.

Letatis suse CX, vermählt mit Anne Gertrud Kleine geb. Kalthoff aus Oestinghausen Krs. Soest.
Getauft am 10.5.1735, gestorben 27.4.1781. Tochter der Eheleute des Landwirts Johannes Theodor Kalthoff und Anna Margareta Jürgens. Die Eltern des Johannes Caspar Henrich Kleine hiessen:
Johannes Kleine und Frau Anna Maria geb. Ahrendt.

Nach Aufzeichnungen meines Vaters (nach dem Kirchenbuch des Soester Patroklidomes: Arrens)
Er wurde in der ehrwürdigen St. Patroklikirche zu Soest am 6.2.1730 über den Taufstein gehoben, seine Pathen waren der hochwürdige Herr Chorsänger Caspar Halfmann, Heinrich Fellings, und Dolf Hollermann.
Den Namen Johannes erhielt er von seinem Vater, den Namen Heinrich wahrscheinlich von einem Schwager seines Vaters namens Fellings und den Namen Caspar von einem Paten, den hochwürdigen Herrn Chorsänger Caspar Halfmann, siehe Taufregister von Probst Steinhoff zu Soest vom 30. November 1911.
Er war erst zwei Monate alt, als sein Vater im 30. Lebensjahre, nachdem er eben den Bürgereid geleistet hatte, und ein Jahr vorher geheiratet hatte, starb. Über seine Jugend ist uns nicht viel bekannt.
Da er eine Frau aus dem Kirchspiel Oestinghausen bei Hovestadt geheiratet hatte, ist wohl anzunehmen, dass er Vermögen besass und auf Veranlassung dieser Familie Kalthoff sich in Hovestadt an der Lippebrücke, unmittelbar gegegenüber dem gräflichen Schloss des Grafen von Plettenberg und Hovestadt niedergelassen hat und dort eine Landwirtschaft, verbunden mit einem Landgeschäft, betrieben hat.
So regte sich auch bei ihn das bäuerliche Blut seines Grossvaters, der zu Niederense an der Möhne, Kirchspiel Bremen, südöstlich von Werl, Landwirtschaft betrieben hatte.
Jeder Familienforscher landet ja bekanntlich auf der Suche nach seinen Ahnen irgendwie und irgendwo auf dem Lande, so wie wir bei ihm. Wenn der alte Pfarrer Rickschmitz von Oestinghausen schon vor dreissig Jahren meinen Vater gegenüber und späterhin meinen Brüdern behauptetet, die Kirchenbücher zu Kirchspiel Oestinghausen seien nicht registriert, er habe deshalb um uns Forscher endlich zu befriedigen, sorgfältig Seite um Seite geblättert, kaum aber den Namen Kleine vor Johann Caspar Henrich Kleines Zeiten nirgends feststellen können, so hat er darin recht, Johann Caspar Henrich Kleine ist eben zu Soest geboren, als der einzigste Sohn und als einzigstes Kind seines am 14.4.1730 nach einjähriger Ehe verstorbenen Vaters Joannes, der ihn nur zwei Monate gekannt hat. Nach dem Bericht eines heute 86 jährigen Rentmeisters Keimer, der sein zweiter Nachfolger in der Renteiverwaltung des Grafen von Plettenberg und Hovestadt war, hat er diese Besitzung käuflich erworben, da er von seiner Mutter her aus einer vermögenden Familie stammte, sonst hätte er nicht nach seinem Ableben jedem seiner neun Kinder ca. 15.000 Thaler hinterlassen können.

Sein ältester Sohn hiess Philipp Kleine und sein jüngster Sohn August Clemens Josef.
Dieser ist mein Grossvater. Dazwischen sind ihm noch sieben Töchter geboren,

1. Luise Kleine, verehelichte Karl Wiek in Hovestadt
2. Maria Josina, get. 1.2.1759 in Oestinghausen
3. die Frau des Gutsbesitzers Humbrechting bei Diestedde,
4. Jda, verehelichte Frau Johann Adolf Desberg in Heesen,
5. die barmherzige Schwester, die zu Paris einen Frauenorden gründete,
6. eine Frau Wilkens, die sich nach Lippstadt verheiratete, wo ihr Mann "Säule und Stütze" der Firma
     August Kleine wurde.
7. unbekannt.

Zu seinem Besitz gehörten viele Ackerländereien und Weiden, die der Gräflich Plettenbergschen Gutsverwaltung, nur durch den Lippefluss getrennt, gegenüber lagen und später, vielleicht durch die Gräfliche Verwaltung veranlasst, nach seinem Wegzug nach seiner Heimatstadt Soest von dem Grafen Plettenberg käuflich erworben wurden.
Er war dessen Rentmeister im Nebenberuf. Wohl in der Erwägung, dass er bei dem Verkehr mit den Pächtern des Gräflichen Besitzes für sein Landgeschäft manchen nutzen ziehen konnte.
Jm Laufe der Jahre wurde er Jmporteuer für alle möglichen Waren für die Bewohner dieses Teils der üppigen Soester Börde  und lieferte weit und breit Bausteine, Bauhölzer, Getreide und Mehl, Sand, Kalk, Eisenwaren, Dielen sowie Kolonialwaren jeglicher Art, wie Kaffee, Tee, Zucker, Sago, Reis usw.. Jn seinem lebhaften Handel in diesen Artikeln beschäftigte er, wie wir aus den Briefen von seinem Sohne Philipp Kleine wissen, ein halbes Dutzend Pferde und Knechte auf des Leinpfad der Lippe, welche seine Waren auf grossen Schleppkähnen flussabwärts bis Wesel und darüber hinaus und flussaufrärts bis nach Lippstadt befördern musste, bis wohin der Lippefluss schiffbar war. Eier zu Lippstadt, "An der Burgmühle", die den Lippefluss überquerte und so der Schiffahrt weiter oberhalb Einhalt gebot, stand der grosse Kran der Stadt Lippstadt auf dem sogen. "Lagerplatz", in nächster Nähe der Burgmühle, wo diese mächtigen, beladenen Schleppkähne mit Hilfe des grossen städtischen Kranes entleert und ihre Lasten nunmehr zu Lande mit dem Fuhrwerk weiter verfrachtet
werden mussten.

Eine Aquarellzeichnung, von dem Zeichenlehrer Lorenz ausgeführt, hing in meiner Jugendzeit lange Jahre an der Wand im Kontor meines Elternhauses, wenig beachtet, und doch war dieser Hebekran ein Sinnbild der Lippe Schiffahrt, der im Laufe langer Jahre viele Tausende von Tonnen in Waren und Gütern aus den Schleppkähnen auf das Land gehoben hatte, bis auch er eines Tages durch den Fortschritt der Kultur, im Zeitalter der ausgebauten Landstrassen und Eisenbahnen, diesen modernen Verkehrsmitteln weichen musste.

LP-Hafen04




     Der Hafen von Lippstadt
     Links ein Hebekran,
     in der Mitte ein Schleppkahn.
     (Goutache vermutlich von
       E. F. Busch um 1835/36)







Mein Vater und der alte Buchhalter Friedrich Pieper, welcher 48 Jahre, also fast ein halbes Jahrhundert, in der Firma August Kleine zu Lippstadt, auch als Säule und Stütze tätig war, haben ihn noch während seiner Benutzung gekannt, aber als er altersschwach, morsch und brüchig wurde, ist er eines Tages abgebrochen worden, versunken, jedoch nicht vergessen im Hause August Kleine, dem er so viele treue Dienste über ein halbes Jahrhundert lang geleistet hatte.
Wir werden später sehen, wie Philipp Kleine seinen jüngsten Bruder August Clemens Josef das ganze Baumaterial zum Aufbau seines Hauses an der Kappelstrasse , wo er einen Bauplatz gekauft hatte, liefern musste und mit den Beförderungsmitteln wiederum Waren mit zurücknahm.
Der Leinpfad der Lippe an den Grundstücken der Familie Kleine vor dem Soester Tore entlang bis zur Burgmühle, wo er endete.

Um die Rechte an diesem Treidelpfad hat mein Vater August Kleine , wie wir auch später noch heran werden, einen langjährigen Prozess mit dem Fiskus geführt und gewonnen, auf diesem Treidelpfade der Lippe habe ich in meinem Knabenjahren noch manchmal grosse Lastkähne nit Bausand gefüllt treideln gesehen, wie man das nannte und ich erinnere mich noch sehr gerne an diese Zeit, wo ich als Knabe mit meinen Schulkameraden an freien Nachnittagen in dem Sandlager bei der alten Burgnühle meine Burgen und Schlösser baute und bei dieser Gelegenheit einmal einen Mammutzahn von ca 6 Pfund mit den Händen aus des Sande grub, den wir dann auf dem Naturalienkabinett der berühmten Ostendorffschule (Später Realgymnasium) zur Freude des naturwissenschaftlichen Lehrers ablieferten, ein Beweis für die Tatsache, dass in einer der Eiszeiten vor Jahrtausenden Mammute in der Lippstädter Tiefebene sich getummelt haben. Tempora mutsantor.

Br-Zeich





     Ein Lastkahn auf der Lippe
     wird “getreidelt”









Aus Johann Caspar Henrichs Zeiten stammt noch ein alter Kamin in dem Hovestädtschen Hause, der heute noch trotz des Umbaues der grossen Diele dieses Hauses erhalten ist. Als ich mal in meiner Jugend mit meinem Vater dieses alte westfälische Fachwerkhaus, das heute noch im Volksmunde das "Kleinesche Haus" genannt wird, obschon es ja schon so lange in den gräflichen Besitz übergegangen ist, besuchte, stand er lange sinnend, vor diesem Kamin und sagte zu mir: "Hier brannte einst das Herdfeuer meiner verstorbenen Grosseltern, hier wurden Speise und Wäsche gekocht, das tat man damals auf alten getrockneten Weidestumpfen, hier wärmte man sich auch Winterskälte und erzählte sich alte westfälische Spukgeschichten, denen die Kinder so gerne bei knisterndem Feuer lauschten.
Das weiss ich von meiner verstorbenen Mutter her, ich war eben bei dem Tode meines Vaters noch zu klein, erst 10 Jahre alt, als er starb, sonst würde mir dieser sicherlich vieles aus der Familie überliefert haben."
Auf der ganzen Rückfahrt sass er dann schweigsam in der Tagenecke, vergangener Zeiten gedenkend. Von seinem Grossvater her sind noch einige schöne alte Schränke aus der Barockzeit durch Erbschaft auf uns gekommen. Philipp, der älteste Bruder, hat wegen des grossen Altersunterschiedes und weil er ja viel früher heiratete, den grössten Teil des Hausrates bei der Uebernahme dieses Hauses erhalten, während sein jüngerer Bruder, mein Grossvater, nur wenige Möbelstücke, aber gute, ererbt hatte. So eine alte, von einem Soester Meister angefertigte Haus- und Standuhr, die neben der Tageszeit die Monate, die Jahreszahl und den Stand der Sonne und des Mondes und der Sterngebilde des Himmels anzeigte. Ferner ein uralter fournierter Kleiderschrank in hell- und dunkelrotbrauner Beize, mit versteckbarem Schlüsselloch, ein alter eichener Wäscheschrank, zerlegbar, weil er mehrere Zentner wiegt und andere schöne Familienstücke, die das Gedenken an seine einstigen Besitzer wachhalten. Für den musikalischen Sinn dieses Ahnen zeugt heute noch ein in meinem Besitz befindliches Liederbuch, betitelt:

Oden und Lieder von Kloppstock, Stolberg, Claudius u. Hölty,

gedruckt anno 1799 , als mein Grossvater also zwei Jahre alt war.
Aus seiner Zeit stammt auch noch die damals die ganze kultivierte weit belegende Romanschrift des
"Friedrich Freiherrn von der Frenck merkwürdige Lebensgeschichte in drei Bänden", die mit Rücksicht auf Friedrich den Grossen, seinem bekannten Peiniger, erst wohl geschrieben, heimlich vertrieben wurden, jedoch 1787 erst zu drucken erlaubt war, "mit allergnädigsten Privigeliis" zu dessen Nachfolger und Bruder "S.E.Kgl.Majestät von Preussen, Friedrich Wilhelm II. gerichtet, eine Anklageschrift gegen Friedrich den Einzigen, die damals Jahrzehntelang die Gemüter aller Gebildeten in Aufruhr versetzten.
Auch einige uralte Kredenzweingläser und Kristallgefässe, die sich bis heute von Geschlecht zu Geschlecht weitervererbt haben, sind ihrer barocken Form und Beschriftung gemäss seiner Zeit zuzuschreiben.
Jnteressant ist die auf der Rückseite eines solchen Kredenzglases eingeschliffene Jnschrift mit Barockmustern umziert "Die Liebe duht alles zerschmelzen", während auf der Vordeseite ein Amor vor einem Amboss abgebildet ist, der zwei Herzen zusammenschweisst, also wohl ein Verlobungs- oder Hochzeitsgelegenheitsgeschenk für ein junges Paar.
Ein anderes bis heute erhaltenes Kredenzglas in Barockmuster hatte sogar einen geschliffenen Deckel, der leider durch unvorsichtiges Verpacken beim Umzuge meiner Mutter von Lippstadt nach Wiesbaden zerbrochen ist, auch dieses Glas ist wohl als Hochzeitsglas dem Geschenk der damaligen Zeit anzusprechen.
Die Entstehungszeit dieser Gläser lässt sich bestimmen aus der Tatsache, dass sie geformt wurden zu einer Zeitepoche, als man es noch nicht verstand, geschmolzenes Glas mit Kalk oder Blei zu versehen oder Knochenkohle rein zu klären und Luftblasen bei der Schmelze zu vermeiden. Solche Gläser sind deshalb unklar und oftmals auch mit kleinsten Luftbläschen überall durchsetzt. Jch besitze auch noch eine alte Kursive, in welcher um das Jahr 1500 wahrscheinlich ein Mönch das neue Testament abgeschrieben hat. Das Jnteressante an dieser Jnkunabel sind die darin enthaltenen Übungssätze, die offenbar für den Gebrauch in der Klosterschule zusammengesetzt sind. Es sind dies dieselben lateinischen Sätze, die der heutige Tertianer und Sekundaner im Lateinunterricht zur Übersetzung vorgelegt bekommt, z.B."Solon, befragt, warum er für den Vatermord keine Strafe festgesetzt hätte, antwortete: "Jch kann es mir nicht denken, dass jemand seinen Vater töten kann."

Johann Heinrich Caspar Kleine, der nur 55 Jahre alt geworden ist, hat sein Lebensende nach Verkauf seiner Hovestädter Besitzung in seiner alten Vaterstadt Soest zugebracht. Seine Frau ging ihm vier Jahre im Tode voraus. Wie wir schon gehört haben, ist sein oder Philipps Besitz in das Eigentum des Grafen Plettenberg übergegangen, der in das Kleinesche Haus seine Renteiverwaltung verlegte, wo selbe sich auch heute noch befindet, über das Schicksal seiner vielen Töchter wissen wir nur wenig. Eine von ihnen, welche barmherzige Schwester wurde und nach Erhalt ihres Erbteils in Höhe von 15000 Th. in Paris einen weiblichen Orden gründete, hat an ihren älteren Bruder Philipp sehr geistreiche und sprachgewandte Briefe geschrieben. Jn einem dieser Briefe an ihren Bruder beklagt sie sich von Paris aus, dass ihr Bettzeug und dergl, und noch vieles fehle. Jda wurde die Mutter jenes August Oesberg aus Heessen, der durch seine Untreue die Familie Kleine um ca. l00 000 Thaler geschädigt hat, wie wir später sehen werden.

Der alte Rentmeister Keimer berichtete mir ferner, dass dieser Vorfahr ein grosser Sportler im Angeln und Netzstellen in der Lippe war. Er hatte überall seine Angeln und seine Reusen liegen, die er bei seinen Spaziergängen beging. Er fing damals soviel Hechte, dass er für die Nachbarn, Verwandten und Freunde immer Barsche, Aale und Hechte als Freitagsgericht abgeben konnte. Der Verkaufskontrakt dieser Kleineschen Besitzung an den Grafen ist auch noch heute erhalten. Johann Heinrich Caspar war auch ein grosser Jäger vor dem Herrn. Jn der wildreichen Soester Börde soll er auf seinen Jagdzügen nach der Sitte der damaligen Zeit stets zwei Vorderladerflinten mitgenommen haben und sein Pulver von Lippstadt bezogen haben, etwas, was wir uns in unserer Zeit der Repetiergewehre garnicht mehr vorstellen können. War mal bei ihm oder bei dem Grafen Mangel an Schiesspulver oder anderem Schiesszeug, so halfen diese beiden Jäger sich durch Überlassung von Pulver und Blei oder Zündhütchen oder Feuerstein für die Flinte regelmassig aus.
Der Graf soll ihm als gebildeten Mann stets hoch geschätzt haben und ihm, wie aus alten Briefen ersichtlich, bei seinen vielen Reisen immer Aufträge auf Leder, Handschuhe, Leinen, Wein mit auf den Weg gegeben haben.
"Es war immer ein gegenseitiges Aufrechnen zwischen der gräflichen Herrschaft und seinem Hause."
Ging mal auf seinem Herde das Feuer aus durch Unachtsamkeit, dann wurde "Glut in einem alten Holzschuh aus dem Kaminfeuer des gräflichen Schlosses" geholt. Streichhölzer gabs ja damals noch nicht.